DIA-AID live

Basalraten, Boluskorrekturen und Nudelberechnungen in den Griff kriegen

Hoher Besuch bei DIA-AID live: Mit Diabetesberater Heiko Müller konnten wir für unser Videokonferenz-Angebot einen Gast gewinnen, der nicht nur für herunterfallende Kinnladen sorgte, sondern anscheinend nicht ganz umsonst von seinen Anhängern der „Basalraten-Papst“ genannt wird. Warum? Lest selbst!

Viele Menschen mit Diabetes, die auf die Zufuhr von Insulin angewiesen sind, plagen ähnliche Probleme: Ein doch eigentlich wie gelernt gegebener Bolus führt unerwartet in den Unterzucker, oder trotz Bewegung und gefühlt guter Basalrate gehen die Zuckerwerte plötzlich ab wie Schmitz Katze. Erklärungen dafür und Tipps dagegen kursieren viele, doch oft scheinen diese auch nur nach dem Zufallsprinzip zu funktionieren.

„Quittung am Ende des Tages“

Diesen Problematiken nimmt sich Diabetesberater Heiko Müller nun seit über 20 Jahren im Rahmen seiner Beratungs- und Schulungsarbeit für Mevita an und - noch wichtiger – er geht ihnen auf den Grund. Blutzuckerschwankungen fallen seinen Studien und seiner Erfahrung nach nämlich nicht vom Himmel, sondern sind die „Quittung am Ende des Tages“ für grundsätzliche Fehlannahmen im Insulinmanagement.

 

Was ist die Basalrate?

Unter Basalrate(von „basal“ - die Basis, die Grundlage oder den Grund bildend) versteht man die Insulinmenge, welche in einem bestimmten Rhythmus abgegeben, den Blutzuckerspiegel grundlegend stabil hält, unabhängig von über der über die Nahrung zugegebenen Glukose. Der Bedarf orientiert sich an der zu verschiedenen Tageszeiten unterschiedlichen Insulinempfindlichkeit. Die benötigte Basalrate kann bestimmt werden, indem man einen Tag lang (ggf. kürzer) beobachtet, welcher Insulinbedarf sich bei absoluter Nüchternheit anhand der gemessenen Zuckerwerte ergibt. Anhand der Ergebnisse wird ein sog. Basalratenprofil festgelegt. Da sich bei einem deutlichen Mehr oder Weniger an körperlicher Aktivität die benötigte Basalrate verändern kann, bieten Insulinpumpen in der Regel die Möglichkeit, mehrere Profile anzulegen.

Leider wird die Basalrate häufig schlampig oder ungenau bestimmt, was zu steten Fehlberechnungen bei der Zugabe sog. Bolus-Insulins führt und damit zu Über- oder Unterzuckerungen.

Dieses Video erklärt anschaulich, warum eine gut eingestellte Basalrate so wichtig ist.

 

Volles Haus beim Papstbesuch

In unserem letzten DIA-AID live unter dem marktschreierischen Titel „Warum passt es nicht? Das Blutzuckerchaos endlich in den Griff kriegen!“stellte, der in manchen Kreisen liebevoll anerkennend „Basalraten-Papst“ genannte, Müller seine Erkenntnisse nicht nur vor, sondern nahm sich der Thematik auch dem Titel entsprechend an. Und das vor vollem Haus: Fast 300 Teilnehmende versammelten sich zur virtuellen Beratungs- und Fragestunde.

Fehlannahmen häufig – Lösungen verfügbar

Fehlannahmen bei der Insulintherapie gibt es laut Müller viele, aber, da man irgendwo anfangen müsse, stieg er mit der Wirkdauer der verschiedenen Insuline ein. „Wie lang schätzt Ihr die Wirkdauer Eures Insulins ein?“, fragte er das äußerst rege Publikum und in Sekundenschnelle füllte sich der Chat mit den unterschiedlichsten Antworten. Auffällig dabei: Aussagen wie „2 Stunden“ oder „3 Stunden“ bildeten keine Ausnahme, sondern waren häufig vertreten.

Für den kompetenten Diabetesberater ein guter Opener: „Jedes Insulin, egal was Ärzte und Hersteller versprechen, oder wünschen, kann mit einer Wirkdauer von 5 Stunden veranschlagt werden.“ Damit klappten die ersten Kinnladen herunter. Scheint die Annahme kürzerer Wirkdauern doch nicht nur gängig, sondern wird auch von manchem Diabetesberater so gelehrt. Müller konnte seine These auch zugleich gut belegen. Anhand über Jahre gesammelter Auswertungen von Verlaufskurven seiner Kunden legte er schlüssig dar, dass alle Insuline sich bei allen Unterschieden ähnlich verhalten: Ihr Einfluss auf den Blutzuckerspiegel ist immer um die 5 Stunden nachweisbar.

Dies sei, neben falsch berechneten Basalraten und Bolusmengen einer der Hauptgründe für plötzliche Schwankungen, vor allem unerwartete Unterzuckerungen am Abend. Trotzdem werde es immer wieder falsch gelehrt und auch von Mensch mit Diabetes zu Mensch mit Diabetes weitergegeben. „Wer das erstmal akzeptiert hat, der ist auf einem guten Weg, sich eine allzu hohe allabendliche Quittung künftig zu ersparen. Weiß ich um die lange Wirkdauer, muss ich der Rechner die Bolusgabe anders berechnen“, betonte der äußerst gut vorbereitete Referent.

Bolusrechner statt Ratespielchen

Dennoch sei die Problematik komplexer, hätten doch viele Betroffene noch nie vernünftig ihre Basalrate berechnet, noch nutzten sie einen Bolusrechner. Dabei sei letzterer inzwischen bequem per App zu haben und auch ersteres kein Hexenwerk, sondern mit ein paar Stunden Fasten locker hinzukriegen – übrigens auch bei Kindern, wie der vierfache und phasenweise alleinerziehende Vater betonte. Leidige Ratespielchen ade.

 

Was ist ein Bolusrechner?

Ein Bolusrechner ist ein technisches Hilfsmittel (z.B. in Form einer App, oder der Funktion einer Pumpe), welches zur Berechnung der aktuell benötigten Dosis Bolus-Insulin dient. Als Bolus-Insuline bezeichnet man alle zur Korrektur von erhöhtem Blutzucker und zum Auffangen des Blutzuckeranstiegs einer Mahlzeit schnell wirksamen verwendeten Insulinpräparate. Die Parameter, welche ein Bolusrechner zum Berechnen der Dosis benötigt, sind mind. die Insulin­-Wirkdauer, der Kohlenhydrat- und Korrekturfaktor, sowie ein Zielbereich oder ein Zielwert. Manche Rechner nehmen auch weitere Angaben dazu, um noch genauer den Bedarf zu errechnen.

Der Bolusrechner ist auf eine realistische Einschätzung der Wirkdauer eines Insulins angewiesen, um die gewünschte Verbesserung der Blutzuckerwerte zu bewirken!

Eine beliebte Bolusrechner-App ist mySugr

 

Hast Du mal ne Folie?

Wie man vernünftig eine Basalrate bestimmt und wie man einen Bolus korrekt berechnet – das erklärte Müller nicht nur umfangreich, sondern auch sehr praktisch unter Einbeziehung des Publikums, wobei er auch bei spezielleren Fragen stets noch eine passende Folie in seiner Präsentation parat hatte. Nudeln? – Kein Problem, sofort ist eine ausführliche Folie mit Erklärung parat, warum diese so häufig überschätzt werden. FPE? – Easy! Heiko muss nur ein Knöpfchen drücken und schon erschließt sich auch bisher Unbedarften in Wort und Bild, was es eigentlich mit den geheimnisvollen Fett-Protein-Einheiten auf sich hat und wann und wie man sie berechnen sollte.

Mehr Kompetenz wagen

Dabei ein stets wiederkehrendes Muster: Leider werden viele dieser Dinge sowohl in der Einstellung beim Arzt als auch in der anschließenden Beratung nur stiefmütterlich oder gar nicht behandelt. Viele der anwesenden Betroffenen und Eltern hörten davon zum ersten Mal. Basalratenberechnung, Bolus-Rechner, Korrekturfaktoren – für viele leider immer noch böhmische Dörfer. Dabei machte Heiko Müller an diesem Abend mehr als deutlich, dass das Wissen um diese Dinge essenziell für eine hohe Lebensqualität mit Insulintherapie ist.

 

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Abschließend nahm er sich noch in der dritten Stunde die Zeit, zu erklären, welchen Einfluss der weibliche Zyklus auf den Insulinhaushalt hat. Als dann Moderator Sascha das Ende mit dem Hinweis auf eine alsbald entschlummernde Regie einläutete, scheinen die noch über 150 anwesenden Gäste der Informationsflut immer noch nicht müde. Es wird deutlich, dass es auf dem beackerten Feld einen hohen Bedarf an besserer Schulung und fundierter Beratung gibt, oder umgekehrt – leider einen Mangel in der Therapie, der zum Teil auf Unwissenheit, aber auch auf Mängeln des Gesundheitssystems beruht, welche dem Idealbild des rundum kompetenten Patienten nicht zuträglich sind.

Ein zufriedeneres und sichereres Leben

Heiko Müller wirkt diesen Mängeln mit seinen zahlreichen Schulungs- und Beratungsangeboten entgegen und hat, das merkt man auch in der Veranstaltung, inzwischen einer ganzen Reihe an Menschen mit Diabetes, ein zufriedeneres und sichereres Leben beschert. Wir freuen uns jetzt schon, ihn im September bei einem weiteren DIA-AID live begrüßen zu dürfen (genauere Informationen folgen in unserem DIA-AID-live-Kalender) und empfehlen einen Blick auf die Website von Mevita. Dort finden sich zahlreiche tiefergehende Angebote des „Basalraten-Papstes“, sowie weitere Informationen zu seiner Person und seinem Wirken.

 

Folien aus dem Vortrag

Die Folien aus dem Vortrag hat Heiko Müller uns zum Download als PDF zur Verfügung gestellt.