Diskussion über ein allgemeines Screening

Alle Kinder auf Diabetes Typ 1 testen lassen?

Immer mehr junge Menschen erkranken an Diabetes Typ 1. Seit einigen Jahren gibt es für Kinder, deren Geschwister erkrankt sind, die Möglichkeit sich testen zu lassen, ob sie auch Diabetes entwickeln werden. Wäre ein Screening für alle Kinder sinnvoll? Darüber diskutierten Fachleute auf dem diesjährigen Diabetes Kongress

Ein kleiner Bluttropfen reicht, um Diabetes Typ 1 zu erkennen, bevor ein Kind erkrankt. Diese Form der Früherkennung mittels Antikörperscreening gibt es zurzeit aber nur im Rahmen von Studien. Doch was würde dieses Wissen den betroffenen Familien bringen? Prof. Dr. Andreas Neu von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DGG) meint dazu: „Der Nutzen der Früherkennung für die betroffenen Kinder und deren Familien ist derzeit noch unklar.“ Auf dem großen Diabetes-Kongress der DDG fielen aber auch Argumente, die für ein Screening sprächen. Es wurde heftig und kontrovers diskutiert.

Antikörper-Therapie verzögert den Ausbruch der Erkrankung

Neu fände ein bundesweites Früherkennungsprogramm nur sinnvoll, wenn es eine Möglichkeit gäbe, nach einem positiven Ergebnis die Erkrankung Diabetes Typ 1 zu verhindern. Diese Voraussetzung sieht der Kinderdiabetologe nicht gegeben.

Im kommenden Jahr wird zwar vermutlich auch in Europa eine bereits in den USA angewendete Antikörper-Therapie mit dem Wirkstoff Teplizumab zugelassen, die bereits vor Ausbruch der Erkrankung eingesetzt wird. Neu betonte jedoch, dass selbst eine mehrfache Anwendung dieses Medikaments den Erkrankungsbeginn nur um bis zu zwei Jahre hinauszögern könnte, nicht jedoch verhindern. Andere Fachleute sprachen sich ebenfalls nur für ein Screening im Rahmen von klinischen Studien aus, um Probanden zu finden, mithilfe denen erforscht werden kann, wie sich Diabetes Typ 1 verhindern lassen könnte.

 

So wirkt Teplizumab

Bei der Autoimmunerkrankung Diabetes-Typ-1 zerstören Immunzellen die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse. Dieser Zerstörungsmechanismus soll durch den Antikörper Teplizumab aufgehalten werden. Ziel des Medikaments sind die T-Zellen, die durch die Bindung an den Antikörper in ihrer Wirkung geschwächt werden.

 

Freiwilliges Screening für alle?

Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler vom Institut für Diabetesforschung plädiert dagegen für ein freiwilliges Screening, das ihrer Meinung nach allen Eltern angeboten werden sollte. Der Medizinethiker Prof. Dr. Giovanni Maio meint dazu: „Es geht nicht darum, ob wir testen sollen oder nicht. Nicht das ob ist relevant, sondern das wie.“

Aufklärung statt Leben in Angst: Nein zum Regel-Screening!

Kommentar von Anke Buschmann, stellvertr. Vorsitzende Diabetiker Niedersachsen

Die Debatte um das allgemeine Screening aller Kinder im Rahmen der Kindervorsorgeuntersuchungen geht aus meiner Sicht in die falsche Richtung. Statt Eltern mit den Ergebnissen evtl. zu verunsichern und bei jedem unerwarteten Durstgefühl des Kindes gleich einen Diabetesausbruch wittern zu lassen, halte ich es für klüger, die Aufklärung über die Anzeichen für einen Diabetes Typ 1 zu schulen.

Es ist schon richtig: Viele Diagnosen erst nach einer Ketoazidose könnten durch das Screening verhindert werden. Aber, dies ist auch durch eine gute Aufklärungsarbeit, nicht nur unter den Eltern, sondern auch unter den Kinderärzten, möglich und für ein unbeschwertes Familienleben günstiger. Wer es unbedingt machen will, dem kann ein solches Screening dann ja als IGeL-Leistung angeboten werden. Als Betroffene kann ich nur sagen, dass meine Jugend wesentlich belasteter gewesen wäre, wenn über mir stets das Damokles-Schwert des kommenden Diabetes gehangen hätte. Der Ausbruch erfolgte dann nämlich erst mit 27.

Dem Hype um das Screening als Regel muss ich als Betroffene und Leiterin unseres Typ-F-Bereichs eine klare Absage erteilen! Über Medikamente, deren Mehrwert noch nicht wirklich erforscht ist, müssen wir dann auch noch gar nicht erst reden. Hier gilt es, zunächst einmal sehr genau das Kosten-Nutzen-Verhältnis abzuwägen. Noch lässt sich nämlich gar nicht sagen, ob Teplizumab nicht langfristig mehr Schaden als Nutzen bringt. Denn wir wissen doch auch: Ein Leben mit dem Diabetes ist heute gut möglich und wer früh lernt, damit umzugehen, ist bestens aufgestellt für eine vollumfängliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Teplizumab ist derzeit in den USA für Kinder ab acht Jahren mit einem Typ-1-Diabetes-Frühstadium 2, wenn also noch keine Symptome auftreten, zugelassen. Ziegler geht davon aus, dass diese Kinder von der Therapie mit dem Antikörper profitieren würden. Um diese Kinder zu finden, wäre ein allgemeines Screening Voraussetzung. „Wir können Betroffenen ein solches Medikament, das den Diabetes Typ 1 verzögern kann, nicht vorenthalten. Jede Familie sollte die Möglichkeit haben, davon profitieren zu können“, so Ziegler auf der Tagung.

Aktuell ist aber noch nicht klar, bei wie vielen der jährlich in Deutschland etwa 4.000 neu erkrankten Kinder die Antikörpertherapie wirken würde. „Wir wissen auch nicht, welche langzeitigen Folgen die Teplizumab-Gabe in jungem Alter hat.“, gab Neu zu bedenken. Die Verzögerung der Erkrankung würde auf jeden Fall mit deutlichen Nebenwirkungen erkauft.