Pflegenotstand bekämpfen

„Auch ältere Menschen mit Diabetes müssen angemessen versorgt werden“

Der demografische Wandel sorgt dafür, dass in Deutschland immer mehr Personen pflegebedürftig werden – und zwar auch Menschen mit Diabetes. Gleichzeitig gibt es aber einen eklatanten Mangel an Pflegefachkräften. Diese sind dann auch noch unzureichend im Bereich Diabetesversorgung geschult. Ein Dilemma, dem es dringend zu begegnen gilt.

Beginnen wir mit einer guten Nachricht: Die Deutschen werden immer älter! Nicht zuletzt der medizinische Fortschritt lässt die Lebenserwartung in der Bundesrepublik kontinuierlich steigen: Während sie im Jahr 1950 bei rund 66,6 Jahren lag, wird sie im Jahr 2050 bei ganzen 85,6 Jahren liegen

Dies bedeutet unweigerlich auch, dass der Anteil der älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung steigt. Insofern wird sich auch die niedersächsische Altersstruktur in den nächsten Jahren stark verschieben: Der Anteil der Personen unter zwanzig Jahren wird von etwa 21 auf knapp 17 Prozent zurückgehen, der Anteil der Seniorinnen und Senioren (über 65 Jahre) wird dagegen auf etwa 29 Prozent steigen. Allerdings nimmt mit zunehmendem Alter auch die Pflegebedürftigkeit zu. Diese Entwicklung ist in Niedersachsen ebenfalls zu erkennen: Wurden im Jahr 2009 noch 62.918 Menschen durch ambulante Pflegedienste betreut, waren es zehn Jahre später, also 2019, bereits 104.279 Personen. Die Zahl der Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen stieg im selben Zeitraum von 85.074 auf 116.709.

Pflegepersonal kaum ausreichend geschult

Und was bedeuten diese Zahlen in Bezug auf Diabetes? Ganz einfach: Es sind auch immer mehr ältere Menschen mit Typ 1 oder Typ 2 auf Pflege angewiesen – während allerdings das Pflegepersonal kaum ausreichend dafür geschult ist, auf die besonderen Bedürfnisse von Personen mit Diabetes einzugehen. Zuletzt wies der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Selbsthilfe-Organisation "Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH-M NRW)" in einem Positionspapier auf den großen Bedarf für eine bessere Aus- und Weiterbildung von Pflegefachkräften hin.

„Das ist doch wirklich ein Dilemma“, sagt die Kölner Pflegefachfrau und Diabetesberaterin Claudia Lenden, „diese Menschen haben sich ein Leben lang bemüht, gute Blutzuckerwerte zu haben. Und jetzt dümpeln sie in den Senioreneinrichtungen teilweise mit Werten zwischen 30 und 500 mg/dl herum.“ Dabei sei das Problem keinesfalls das Desinteresse der Pflegefachkräfte – sondern der Mangel an Aus- und Weiterbildung gepaart mit personeller Unterbesetzung und Zeitdruck.

Mangel an Pflegekräften wird noch größer

„Ich habe 1984 mein Examen gemacht“, so Claudia Lenden. „Damals gab es sechs Unterrichtsstunden zum Thema Diabetes. Das ist ja schon nicht viel. Aber was fast noch schlimmer ist, ist die Tatsache, dass es danach auch keine obligatorischen Auffrischungen mehr gibt. Dazu kommt dann der riesige Mangel an Pflegekräften. Und der wird auch noch größer. Denn in den nächsten zehn Jahren geht ungefähr ein Drittel aller Pflegekräfte in Rente – während es gleichzeitig immer mehr pflegebedürftige Menschen gibt. Wenn in einem Seniorenheim im Nachtdienst gerade einmal eine examinierte Pflegekraft mit einer einzigen Helferin für 100 Bewohnerinnen und Bewohner verantwortlich ist, kann man sich vorstellen, wie viel Zeit da für den einzelnen Menschen übrig bleibt. Nicht viel.“

 

Bei uns zu Gast

 

Am 9. Juli wird Claudia Lenden auf unserer Fortbildung für Selbsthilfegruppenleiter "Diabetes im Alter: Gute Pflege und barrierefreie Hilfsmittel!" zu Gast sein, uns über die Situation in der Pflege unterrichten und Handlungsoptionen für Politik und Gesellschaft aufzeigen. Gerade auch im Hinblick auf die kommende Landtagswahl werden wir unseren Fokus in der Patientenvertretung auf die Thematik legen.

 

Jedes technische Hilfsmittel anders gehandhabt

Ironischerweise, so die Expertin, machten die technischen Fortschritte im Diabetesmanagement die Angelegenheit für die Pflegenden nicht einfacher. Denn wenn jemand beispielsweise an Demenz erkranke, führe das häufig dazu, dass das vormals sichere Bedienen von Insulinpumpe und CGM-System plötzlich nicht mehr funktioniere. Das Problem: Jedes technische Hilfsmittel werde anders gehandhabt und sei für Pflegekräfte kaum zu durchschauen. „Ich muss mir dann tatsächlich erst einmal die Bedienungsanleitung durchlesen“, erklärt Claudia Lenden, die ja im Unterschied zu vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen immerhin „vom Fach“ ist. Wer da ohne Vorkenntnisse die Pumpe eines Patienten handhaben solle, stoße schnell an Grenzen.

Zudem dürfte es wohl auch kaum einen Menschen mit Diabetes geben, der seine Hilfsmittel in den Händen von dafür nicht ausgebildeten Personen sehen will.

Die Probleme in der Pflege insgesamt und für Menschen mit Diabetes insbesondere sind also eklatant. Insofern müsse sich diesbezüglich sehr schnell und sehr viel tun, so Claudia Lenden: „Wenn wir behaupten, dass wir hier ein ganzheitliches Menschenbild haben und in einem Sozialstaat leben, dann müssen wir die älteren Menschen mit all ihren Bedürfnissen wahrnehmen und sie auch bei Krankheiten wie Diabetes angemessen versorgen können.“