Dass die Bekundungen zur Inklusion zahlreich sind, das konkrete Interesse und die Taten aber schwach, müssen wir nun schon länger feststellen. Erst kürzlich fiel uns auf dem Inklusionstag der Hochschule Hannover auf, wie häufig ein Diabetes noch als „Wehwehchen“ betrachtet wird. Wir haben darauf mit einem entsprechenden Kommentar reagiert, der ein überwältigendes Echo an Feedback auslöste, welches unsere Ausführungen leider bestätigte.
Ein labbriges Brett statt Barrierefreiheit
Dass aber auch bei viel augenscheinlicheren Einschränkungen Realität und Anspruch mitten im Jahr 2022 noch so weit auseinanderklaffen, hat selbst uns negativ überrascht. Die an unserem Infozelt auf dem Tag der Niedersachsen angebrachte Rollstuhlrampe demonstrierte in Form, Bauweise und Funktionalität leider mehr als deutlich, dass die Bedürfnisse von Menschen mit Gehbehinderungen ebenfalls nicht wirklich ernst genommen werden.
Die Rampe überschritt deutlich die praktikable (und in DIN 18040-1/2 definierte) Steigung von 6 Prozent und war zudem so instabil, dass sie im Laufe der Veranstaltung begann sichtbar bedenkliche Schäden aufzuweisen. Ein empörter Fahrer eines elektrischen Rollstuhls erklärte uns dann auch mit viel Sachkenntnis, dass dieses „labbrige Brett“ eher ein Hindernis als eine Hilfe sei. Er erläuterte auch fundiert, warum selbst die längeren Brettrampen auf unserer Meile im Grunde ungeeignet seien, das Leben von Menschen im Rollstuhl zu erleichtern und ihnen ein Betreten der Zelte zu ermöglichen.
„Es kommen doch eh keine Rollstuhlfahrer“
Die Rampe war aber nicht nur für Rollstuhlfahrer ungeeignet. Auch Menschen, die auf einen Rollator oder andere Gehhilfen angewiesen sind, hatten wenig Freude an der abenteuerlichen Konstruktion. Im Gegenteil: Hätten wir nicht aufgepasst wie Luchse, es hätten sich wahrscheinlich schwere Unfälle ereignet. Nur mit Glück konnte eine Dame mit Rollator vor einem schweren Sturz bewahrt werden.
Auch ohne Kenntnisse der zuvor geschilderten Zusammenhänge und Ereignisse hatten wir die Rampe bereits vor dem offiziellen Beginn bei den Verantwortlichen für die Bereitstellung der Zelte bemängelt. Man speiste uns mit der Aussage ab, dass doch „eh keine Rollstuhlfahrer“ kämen und wir froh sein sollten, eine, für unsere Zeltgröße eh nicht vorgeschriebene, Rampe bekommen zu haben. Uns ging es allerdings nicht um Vorschriften, sondern darum, dass alle Menschen unser Zelt betreten können!
Definition von Barrierefreiheit
„Barrierefrei“ bedeutet, dass jeder Bürger alles im Lebensraum, der barrierefrei gestaltet wurde, betreten, befahren und selbständig, unabhängig und weitgehend ohne fremde Hilfe sicher benutzen kann.
Barrierefreiheit proaktiv verhindert
Die Praxis zeigte dann zum einen, dass über 20 Menschen im Rollstuhl an unserem Diabetes-Risikotest teilnehmen wollten, und zum anderen, dass für diese und andere Menschen mit Gehbehinderungen, ein Betreten unseres Zeltes ohne externe Hilfe nicht möglich war. Verwender eines elektrischen Rollstuhls waren komplett ausgeschlossen. Barrierefreiheit und Inklusion wurden also proaktiv von Zeltbauern und Organisatoren verhindert. Dass wir für die Stolperfalle noch 150 Euro extra aus Mitgliedsbeiträgen bezahlen müssen, sei hier nur am Rande erwähnt.
Taten statt Lippenbekenntnisse
Dafür gibt es von uns eine glatte 6 im Fach Inklusion für die zuständige Niedersächsische Staatskanzlei. Es darf nicht bei wohlfeilen Lippenbekenntnissen in Festreden bleiben. Inklusion macht nur dann Sinn, wenn sie auch praktisch ermöglicht wird. Solange es noch möglich ist, dass beim größten Niedersächsischen Landesfest, die Bitte um Barrierefreiheit mit dem Hinweis, dass doch eh keine Betroffenen kämen, abgespeist wird, solange werden wir auch nicht müde, dies zu benennen und für Abhilfe einzutreten.