Gern sind wir der Einladung zum Inklusionstag der Hochschule Hannover auf dem Kleefelder Campus Anfang Juni gefolgt. Ließ das umfangreiche Programm an Vorträgen und Infoständen doch einiges erwarten und machte uns Hoffnung, das Thema „Diabetes“ als einen blinden Fleck vieler Institutionen, die sich um gelebte Inklusion kümmern, ein wenig zu beleuchten. Mit einem Kurzvortrag zum Unterschied zwischen Diabetes Typ 1 und Typ 2 wollten wir zudem mit ein paar Mythen aufräumen.
Vortrag fiel ins Wasser
Leider hat uns das geringe Interesse und Wissen vieler Studierender und Mitarbeiter der Fachhochschule am Thema dann doch wieder vor Augen geführt, dass es mit einem Bewusstsein für die Schwierigkeiten des Alltags mit der Krankheit, insbesondere von jungen Menschen mit Diabetes Typ 1, noch nicht sehr weit ist in der Bundesrepublik. Die Anteilnahme war so gering, dass unser Vortrag mangels Publikums ins Wasser fiel.
Diabetes ist Teil des Themenblocks Inklusion
Wir führten zwar um die 30 Diabetes-Risikotests durch, fanden dabei sogar eine nicht-diagnostizierte Person mit bedenklichen Blutdruck- und Blutzuckerwerten, der wir dann auch engagiert rieten, zur Abklärung einen Arzt aufzusuchen, aber die Nachfragen zur Inklusion von Menschen mit Diabetes in KITA, Schule, Beruf und Zivilgesellschaft hielten sich doch sehr in Grenzen. Um ehrlich zu sein: Sie tendierten gen Null. Der Risikotest wurde dann doch mehr als eine Art Mitmach-Attraktion gesehen, die man sich eben mal gibt und die im Zweifel sogar einen Arztbesuch spart (was sie nicht tut!).
Ob es nun der etwas ungünstige Termin war (kurzfristig, direkt vor Pfingsten) oder das geringe Interesse und Wissen der Studierenden – wir wissen es nicht. Dem sehr engagierten organisierenden Inklusionsteam der Hochschule ist jedenfalls kein Vorwurf zu machen. Eher spiegelt sich in den beschriebenen Umständen die allgemeine Tendenz unserer Gesellschaft, die Themenkomplexe „Diabetes“ und „Inklusion“ als nicht zusammengehörig zu sehen, wider.
Mehr als eine kleine Schieflage
Diabetes Typ 2 wird allermeist einfach als Folge eines schludrigen Lebenswandels, geprägt von übermäßigem Zuckerkonsum, betrachtet, Diabetes Typ 1, wenn überhaupt als eigenständige Autoimmunerkrankung geläufig, als gut händelbares „Wehwehchen“, dem man mit ein bisschen Messen und Spritzen gut beikommt. Bei über 40.000 Amputationen aufgrund eines diabetischen Fußsyndroms im Jahr und der von Sozialämtern und Krankenkassen durch Ignoranz leider immer noch beförderten Ausgrenzung von betroffenen Kindern in KITA und Schule durch hohe Barrieren bei der Gewährung von Eingliederungshilfe und Pflegegeld, mehr als eine kleine Schieflage in der allgemeinen Wahrnehmung.
Es mutete schon etwas surreal an, dem Landessozialamt auf einem Tag zur Inklusion gegenüber zu sitzen und dabei die vielen verzweifelten Eltern im Kopf zu haben, die sich an uns wenden, weil die jeweiligen Ämter für Integration und Soziales in den Kommunen versuchen mit Händen und Füßen die Gewährung von Eingliederungshilfe für Kinder mit Diabetes Typ 1 abzuwehren. Erst kürzlich mit reiner Panikmache, indem man den Eltern suggerierte ein unglaublicher Aufwand an Gutachten käme auf sie zu.
Diabetes ist kein Wehwehchen
Jeder, der sich näher mit dem Thema beschäftigt, oder selbst betroffen ist, weiß, wie wichtig eine Begleitperson für ein Kind mit Diabetes sein kann. Den Besuch eines Kindergartens macht sie überhaupt erst möglich, das Management des Diabetes in der Schule erleichtert sie enorm, steht in Notfällen kompetent zur Seite und bei der Teilnahme an einer Klassenfahrt ist sie zumeist obligatorisch – oder das Kind mit dem „Wehwehchen“ bleibt eben zuhause. Das alles vor dem Hintergrund, dass die Sozialgerichte im Streit um die Kostenübernahme ausnahmslos zugunsten der Antragssteller entscheiden.
Bewusstmachung eines Anspruchs
Diese haben nämlich einen global durchgesetzten Anspruch auf Inklusion, festgehalten im Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention. In der bundesdeutschen Rechtsprechung findet dies auch Niederschlag, allerdings nicht im Umgang der entsprechenden Verwaltungsstellen vorher. Augenscheinlich bewusst wird aus Gründen der kommunalen Sparsamkeit versucht, Menschen von dem Vorhaben, diesen Anspruch praktisch zu leben, abzuhalten. Wir denken, dies wäre ein großes Thema für alle Studierenden gewesen, die aufgrund ihrer Studienrichtung in der ein oder anderen Weise mit dem Thema Inklusion in Berührung kommen werden.
Gesellschaftlicher Wandel fängt nämlich mit der Bewusstwerdung von Problemen an. Solange aber nicht einmal das Problem als ein solches in den Köpfen verankert ist, wird sich auf dem Feld der Lösung nicht viel tun. Und diese wäre hier ganz einfach: Die Ämter handeln und kommunizieren von vornherein im Sinne der gängigen Rechtsprechung und legen den Eltern von Kindern mit Inklusionsbedarf nicht noch Steine in den Weg. Hierfür muss endlich ein Prozess des Bewusstseinswandels einsetzen.
Aufgabe für uns und andere
Unsere Aufgabe in diesem Prozess ist klar: Wir müssen beim Thema sensibilisieren. Ein Inklusionstag an einer Hochschule, die u.a. Studiengänge zu Heilpädagogik, Pflege und Sozialer Arbeit anbietet, wäre unserem naiven Empfinden nach eigentlich ein guter Ansatzpunkt dafür gewesen. Leider ist nicht mal dort, wo spätere Akteure im direkten Kontakt mit den Betroffenen ausgebildet werden, echtes Interesse spürbar. Es gibt noch viel zu tun. Für uns, aber eben auch für andere.