6. Juni ist Tag der Sehbehinderung

Diabetiker mit Sehproblemen benötigen barrierefreie Hilfsmittel

Egal ob man einen Pen benutzt oder eine kontinuierliche Gewebezuckermessung – zum Abmessen oder Ablesen werden die Augen immer gebraucht. Wer auf Insulin angewiesen ist und mit einer starken Sehbehinderung lebt, steht jeden Tag vor besonderen Herausforderungen.

Viele Diabetiker haben sehr schlechte Augen. Ursache sind geschädigte Blutgefäße an der Netzhaut, die dann neu aber fehlerhaft gebildet werden. Bei den einen nimmt das Sehvermögen über viele Jahre hinweg nach und nach ab, bei anderen Menschen lassen die Augen in kürzerer Zeit nach.

Dies ist leider kein seltenes Phänomen. Etwa jeder vierte Typ-1-Diabetiker und jeder Zehnte mit Diabetes Typ 2 leidet unter Sehstörungen. Jedes Jahr erblinden in Deutschland etwa 2.000 Diabetiker. Diabetes gehört damit zu den häufigsten Ursachen für gravierenden Sehverlust bei Menschen im erwerbsfähigen Alter. Die Zahl der Betroffenen wird sich mit Blick auf die demographische Entwicklung und der Zunahme von Diabetes auch unter jüngeren Menschen deutlich erhöhen.

Viele nicht nach aktuellem medizinischem Standard versorgt

Ein großes Problem ist ein Mangel an medizinischen Geräten für Menschen, die sehbehindert oder sogar blind sind. Für die Bedienung der meisten Spritzen, Pens und Pumpen muss man gute Augen haben. Viele der bisher auch mit Seheinschränkung nutzbaren Blutzuckermessgeräte und Applikationshilfen werden demnächst nicht mehr hergestellt.

Zur kontinuierlichen Glukosemessung benötigt man immer auch ein Smartphone. Da die Systeme zur automatisierten Insulindosierung nicht barrierefrei sind, wird die Nutzung von Menschen mit Seheinschränkung durch die Hersteller ausgeschlossen. Das bedeutet, dass schon jetzt viele blinde und sehbehinderte Menschen nicht nach aktuellem medizinischem Standard versorgt werden.

Wichtige System werden vom Markt genommen

Aktuell droht, dass die letzten verbliebenen Diabetes-Systeme, die auch mit einer Sehbehinderung bedient werden können, vom Markt genommen werden.  Dann wären Menschen mit einer Einschränkung des Augenlichts auf ständige Hilfe anderer angewiesen, um die Zuckerwerte im Zielbereich zu halten. Dies würde nicht nur das Gesundheits- und Sozialsystem erheblich belasten, sondern würde die Selbständigkeit von Menschen mit Sehbehinderung deutlich beeinträchtigen.

Eine im Vergleich zu Menschen ohne Sehprobleme gleichwertige Gesundheitsversorgung für blinde und sehbehinderte Menschen mit Diabetes ist in Deutschland aktuell nicht gewährleistet. Es handelt sich damit um eine Benachteiligung behinderter Menschen im Sinne von Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes und um eine Missachtung des Rechts auf eine diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung im Sinne von Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention. Zum Schutz vor Benachteiligungen besteht damit umgehender Handlungsbedarf.

Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband stellt Forderungen

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) fordert, dass auch alle Menschen mit Diabetes und Beeinträchtigung ihres Sehvermögens, eigenverantwortlich und selbständig ihre Erkrankung managen können sollten. Dabei geht es vor allem darum, Insulin richtig dosieren, bzw. die aktuellen Systeme der kontinuierlichen Messung nutzen zu können. Dabei geht es nicht nur darum, die Lebensqualität zu bewahren, sondern auch darum die Lebenserwartung nicht einzuschränken. Die Therapie müsse immer dem aktuellen medizinischen Standard entsprechen.

Der DBSV stellt deswegen folgende Forderungen:

  • Notwendige medizin-technische Hilfsmittel wie Blutzuckermessgeräte, Systeme zur kontinuierlichen Glukosemessung, Pens, Pumpen, Systeme zur automatisierten Insulindosierung etc. ebenso wie digitale Gesundheitsanwendungen sollten so gestaltet werden, dass sie auch von Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung oder Blinden zu nutzen sind.
  • Personen mit einer Seheinschränkung sollten eine bedarfsgerechte, dem Ausmaß ihrer Seheinschränkung und dem individuellen Krankheitsbild des Diabetes entsprechende, ausreichende Einweisung oder Schulung in den Gebrauch der erforderlichen medizin-technischen Hilfsmittel und digitalen Gesundheitsanwendungen erhalten.
  • Fach- und Pflegekräfte sollten hinsichtlich der Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Menschen sensibilisiert und dem aktuellen medizinischen und technischen Stand entsprechend geschult werden.
  • Medizin-technische Hilfsmittel für die Behandlung von Diabetes einschließlich der in diesem Zusammenhang eventuell notwendigen Apps, sollten nur dann ins Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen werden, wenn sie barrierefrei nutzbar sind. Die Barrierefreiheit könne als Qualitätskriterium im Hilfsmittelverzeichnis von den Leistungserbringern verbindlich verlangt werden.
  • Digitale Gesundheitsanwendungen sollten nur dann zugelassen werden, wenn die Barrierefreiheit garantiert wird. Zur Begründung wird auf den Sicherstellungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen verwiesen. Gemeint ist dabei § 17 SGB I „(1) Die Leistungsträger sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält,“ sowie § 2a SGB V „Den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen ist Rechnung zu tragen.“
  • Bei der im Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode angekündigten Weiterentwicklung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) müssen medizinisch-technische Hilfsmittel zur therapeutischen Versorgung des Diabetes mellitus in den Anwendungsbereich des Gesetzes aufgenommen werden.
verschiedene Brillen mit Sehtesttafel