DIA-AID live

Diabetes-Hilfsmittel: Barrierefreiheit ein Zeichen für Qualität

Ob Insulinpumpen, CGM-Systeme oder Smartphone-Apps: Viele einfach zu handhabende Wegbegleiter im täglichen Diabetes-Management sind für Menschen mit Behinderungen und/oder Folgeerkrankungen nur sehr kompliziert oder gar nicht zu bedienen. Dass hier dringend Nachholbedarf besteht, war Thema der jüngsten DIA AID live-Veranstaltung.

Es hat sich in den letzten Jahren viel getan in Sachen Hilfsmittel für Menschen mit Diabetes. Die Bedienung von Insulinpumpen und die Steuerung von AID-Systemen ist übersichtlich geworden, häufig beinahe schon selbsterklärend, praktisch intuitiv. Zumindest, wenn man keinen eingreifenden kognitiven Einschränkungen unterliegt. Denn wer beispielsweise erblindet, stößt schnell an die Grenzen der Technik. Wobei dies in der Regel tatsächlich an der Technik und nicht an der eingeschränkten Sehfähigkeit der Nutzerinnen und Nutzer liegt. Zu dieser Erkenntnis kamen die Teilnehmenden der vergangenen DIA AID live-Veranstaltung zum Thema „Barrierefreie Hilfsmittel für Menschen mit Diabetes – die Politik muss endlich handeln“.

„Wer erblindet, kann heutzutage mit Hilfe von Screenreadern ohne Probleme sein Smartphone weiter nutzen – nicht aber die Insulinpumpe“, brachte es ein Teilnehmer aus der Schweiz auf den Punkt. Dies sei angesichts einer älter werdenden und daher häufiger mit Seheinschränkungen lebenden Bevölkerung im Allgemeinen und angesichts der Tatsache, dass es in Folge einer Diabetes-Erkrankung zur Erblindung kommen kann, im Speziellen ein Skandal.

Beispiele für mangelnde Barrierefreiheit

Diana Droßel, stellvertretende Vorsitzende von diabetesDE und Diabetesbeauftragte des Deutschen Blinden- und Sehbehinderten-Verbandes, legte in ihrem Eröffnungsvortrag verschiedene Beispiele für mangelnde Barrierefreiheit rund um das Diabetes-Management dar. Generell sei unter anderem der Wegfall von Druckknöpfen und die immer häufiger werdende Bedienung per Touchscreen ein großes Problem. Ein anderes Beispiel betraf die Darstellung von Verlaufskurven und anderen Werten in Diagrammen: Diese können von Screenreadern nämlich nicht ausgelesen werden. Dies sei umso ärgerlicher, als dass die Daten ja ursprünglich in Form von Zahlen vorlägen, dann aber zur vermeintlich übersichtlicheren Darstellung in für Screenreader nicht mehr zu erkennende Diagramme übertragen werden.

Generell sei es unverständlich, dass bei der Entwicklung der Hilfsmittel so wenig auf digitale Barrierefreiheit geachtet werde. „Sie kostet ja nicht einmal etwas“, berichtete ein Teilnehmer. „Sie ist in den Betriebssystemen ja bereits angelegt.“ Und zunächst mal machten die gängigen AID-Systeme meist auch einen hervorragenden Eindruck. Das Nutzen eines Screenreaders werde dann aber häufig direkt unterbunden – vermutlich, weil man sonst sehen könne, wie mäßig sie programmiert seien: „Und an solch eine bescheidene Programmierung soll ich mein Leben hängen?“, fragte der Teilnehmer provokant-rhetorisch. Diana Droßel bemängelte in dieser Hinsicht, dass sich die Programmierer allzu selten an die maßgeblichen Standards hielten: „Wir sollten hier Barrierefreiheit ganz einfach auch als ein Zeichen für Qualität sehen.“

Politiker in die Pflicht nehmen

Aber nicht die Hersteller allein seien in der Verantwortung. Die Politik habe es ihnen mit der zögerlichen Umsetzung der bereits seit 2009 von der Bundesrepublik ratifizierten und seitdem geltenden UN-Behindertenrechtskonvention zu einfach gemacht. „Wenn wir jetzt konsequent Barrierefreiheit zu einem Zulassungskriterium für neue Hilfsmittel machen – dann bekommt wegen einer Minderheit die breite Masse keine neue Technik“, so laut Diana Droßel eine gängige Argumentation von Politikern ihr gegenüber. Dies sei jedoch blanker Unsinn: „Wenn die Hersteller nicht um die Zulassung fürchten müssen, wird im Bereich Barrierefreiheit einfach gespart. Diese kostet natürlich Zeit und Geld. Aber das sollte es uns doch allen wert sein!“

Der Gesetzgeber müsse deshalb stets an die geltende Konvention erinnert werden. Gut sei es, als Betroffenenorganisationen direkte Drähte zu Gesundheitspolitikern zu schaffen. Dies habe sich in der Vergangenheit doch das ein oder andere Mal bewährt. „Ohne direkten Draht und Kommunikation mit den Entscheidern geht es nicht. Man muss die Leute manchmal mit der Nase drauf stupsen. Aber wer empathisch ist, der handelt dann auch im Rahmen seiner Möglichkeiten entsprechend“, so die engagierte Selbsthilfe-Aktivistin. Hier habe es schon einmal besser ausgesehen. Es nütze auch nichts, nur auf roten Teppichen zu lächeln oder sich ehren zu lassen: „Den Mund muss man schon entsprechend aufmachen, um etwas durchzusetzen.“

Hersteller konfrontieren: Die Masse macht‘s!

Wo Licht ist, ist natürlich auch Schatten. Viel Lob gab es in Sachen barrierefreier Bedienbarkeit für die mit verschiedenen Pumpen und CGM-Systemen arbeitende Open-Source-App „AndroidAPS“. Hier, so Droßel, hätten viele Programmierer aus der Open-Source-Comunity ihre Kompetenzen gebündelt und „etwas Großartiges“ geschaffen. „Wenn wir mitbekommen, was dagegen bei den kommerziellen Systemen los ist, muss man eigentlich weinen.“ Der Teilnehmer aus der Schweiz konnte da nur beipflichten: „Eigentlich müssten die kommerziellen Systeme doch besser sein als die Open-Source-Anwendungen. Aber es ist tatsächlich genau andersrum.“

Immerhin – und das verdient durchaus auch Anerkennung – waren Vertreterinnen und Vertreter von verschiedenen Firmen und Vertretern der Medizintechnik-Industrie ebenfalls anwesend. Von dieser Seite gab es den Tipp, in Sachen Barrierefreiheit weiter Aufmerksamkeit zu schaffen. Dies könne beispielsweise als Rückmeldung über Ärzte und Beraterinnen laufen, aber auch bei den Herstellern direkt. Und wenn sich Betroffene selbst meldeten, mache es auch schlicht die Masse aus. Schließlich werde jeder Anruf und der entsprechende Grund für diesen protokolliert. „Wenn 100 Menschen am Tag anrufen und fragen, warum ein Produkt nicht barrierefrei ist, wird auch etwas passieren“, so ein praktischer Ratschlag.

Moderator Sascha Schworm schloß mit einer anderen Idee: „Die Produktentwickler sollten sich mal alle eine Schlafbrille aufziehen und dann ihre eigenen Systeme testen."