Die gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin (damals noch „Krankenschwester“) Diana Droßel erblindete 1982 kurz nach dem Abschluss Ihrer Ausbildung infolge einer Infektion und kämpft seitdem darum ihre Selbstständigkeit als Mensch mit Diabetes Typ 1 zu erhalten. Sie hat sich früh mit dem Selbstmanagement ihres Diabetes als Erblindete beschäftigt und ist heute mehr als firm, was moderne Hilfsmittel angeht.
Die DDG-zertifizierte Diabetesberaterin bringt sich überall ein, wo es darum geht, Barrierefreiheit zu gewährleisten. Besonders bei den modernen Hilfsmitteln. Diana gehört diversen Vorständen und Beiräten in der organisierten Patientenvertretung für Menschen mit Diabetes und mit Sehbehinderungen an und engagiert sich auch in der Landespolitik. Ein umfangreiches Porträt ihrer Person findet sich hier.
Angesichts der aktuellen Veröffentlichung der gesundheitspolitischen Forderungen des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes, der Einrichtung eines speziellen Diabetes-Bereiches auf der Website des Verbandes und der bevorstehenden Landtagswahl in Niedersachsen, gibt es gleich eine ganze Reihe von Anlässen, Diana zum Interview zu bitten. Auch wird sie für Euch in einem DIA-AID live am 03. November zum Thema sprechen. Anmeldung hier.
Liebe Diana, Du bist nun schon lange in den Patientenvertretungen für Menschen mit Sehbehinderungen und Diabetes unterwegs. Ist das auch ein Spagat, gibt es da manchmal auch Interessenskonflikte? Und: Siehst Du noch Potential für eine bessere Vernetzung im Bereich der Patientenvertretung von Menschen mit Diabetes zu Organisationen, die sich um Folge- und Begleiterkrankungen kümmern?
Konflikte gibt es schon, da nicht auf beiden Seiten immer das Verständnis da ist. Vor allem Menschen, die von Geburt an blind sind, betonen sehr, dass man mit Blindheit sehr gut leben kann und übersehen dabei manchmal, dass ein Diabetes eine echte Belastung im Alltag sein kann, während Menschen mit Diabetes das Thema Sehbehinderung gern wegschieben, solange sie noch nicht selbst betroffen sind. Mit möglichen Folgeschäden und Zusatzerkrankungen beschäftigt sich halt niemand wirklich gern. Aber gerade am Diabetes hängt so viel dran: Hypertonie, Schlaganfälle, Amputationen und eben auch Erkrankungen der Augen.
Die Organisationen müssten da viel mehr miteinander arbeiten und über den Tellerrand hinausschauen. Bringt man z.B. Blinde mit Rollstuhlfahrern zusammen, wächst das gegenseitige Verständnis für die jeweils unterschiedlichen Bedürfnisse bei der Höhe von Bordsteinen und Kompromisse und neue Ideen entstehen. Eine kleine Schwelle tut dem Rollstuhlfahrer nicht weh, kann aber Blinden das Leben retten. Solche Erkenntnisse verinnerlicht man aber nur im persönlichen Kontakt. Da wünsche ich mir mehr Vernetzung auf allen Ebenen, vor allem über den persönlichen Austausch, um die Empathie für die Einschränkungen der anderen zu schärfen und gemeinsame Strategien für Barrierefreiheit zu entwickeln.
Eines Deiner Spezialgebiete ist die mangelnde Barrierefreiheit bei Hilfsmitteln für Menschen mit Diabetes. Hast Du den Eindruck, dass sich die Situation da in den letzten Jahren eher verbessert, oder eher verschlechtert hat?
Nun, die Technik hat sich natürlich enorm verbessert, aber die Barrierefreiheit leider im gleichen Maße verschlechtert. Früher waren die Hilfsmittel aus sich heraus barrierefreier mittels haptischer Knöpfe. Bei dem Umstieg auf touchgesteuerte Systeme wurden Menschen mit Sehbehinderungen leider einfach vergessen in der Entwicklung. Dabei ist Sprachsteuerung kein Hexenwerk. In allen gängigen Betriebssystemen von Smartphones und PCs ist diese seit Jahrzehnten integriert. Sie muss aber in die Software der Anbieter eingebunden werden.
Es ist aber leider nicht nur die Unwissenheit der Entwickler, sondern auch die Angst vor Regressforderungen, die eine Entwicklung in Richtung Barrierefreiheit verhindert hat. Man schreibt dann lieber drauf, dass das Produkt für Blinde nicht nutzbar sei, als das – bei richtiger Implementierung mehr als geringe – Risiko einer Fehlbenutzung durch Betroffene in Kauf zu nehmen. Dabei ist es doch so, dass gerade Menschen mit Sehbehinderungen sehr viel sorgfältiger und aufmerksamer mit den Geräten umgehen als Menschen, die noch gut sehen können. Sie sind durch ihre Einschränkung allein schon sensibilisiert.
"Wir brauchen mehr Betroffene, die zugelassene und für alle benutzbare Geräte einfordern!"
Du appellierst nun schon lange an die Hersteller, doch endlich auf Nutzbarkeit für alle Betroffenen zu achten. Passieren tut leider wenig. Was antwortet man Dir auf Deine Kritiken und Anregungen?
Also, erstmal muss ich sagen, dass man wirklich immer sehr nett zu mir war und ist. Aber, passiert ist leider aus den bereits geschilderten Gründen nicht viel. Meine Hartnäckigkeit hat man aber bei den Firmen immer honoriert und anerkannt. Obwohl ich die Aussage, ich sei penetrant, zunächst negativ aufgefasst habe. Inzwischen weiß ich aber die Anerkennung, die da drinsteckt, durchaus zu würdigen.
Natürlich gab es auch Leute, die z.B. auf DDG-Kongressen versucht haben die Flucht anzutreten, sobald mein Langstock zu entdecken war. Glücklicherweise habe ich meinen Mann mit seinen Adleraugen. Entkommen ist mir keiner und so habe ich zumindest ein Bewusstsein für das Problem schaffen können. Inzwischen habe ich auch ganz praktisch über eigene – nicht auf dem Hilfsmittelmarkt zugelassene – Lösungen aufzeigen können, dass man auch als blinder Mensch ein Loop-System gut nutzen kann. Meine Werte und mein Wohlbefinden sind dadurch ebenfalls besser geworden.
Leider fehlt es oft an weiteren Mitstreitern, die ebenso offensiv auf die Hersteller zugehen wie ich. Dies erzeugt nämlich schon Marktdruck. Ich denke, beim FreeStyle Libre 3 zeigt sich das ganz gut. Es ist ein offenes Geheimnis in der Diabetes Community, dass ein eigenes Lesegerät gar nicht mehr geplant war und der Sensor nur noch via Smartphone ausgelesen werden sollte. Nun kommt doch eines auf den Markt, was sicher auch damit zu tun hat, dass viele Nutzer nicht mehr damit zurechtkamen und einen Wechsel erwogen oder durchgeführt haben, oder zumindest ihren Unmut bei Abbott kundgetan haben. Ich muss nochmal appellieren: Wir brauchen mehr Betroffene, die zugelassene und für alle benutzbare Geräte einfordern!
Nach UN-Behindertenrechtskonvention ist die Barrierefreiheit auch in der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. Der Gesetzgeber – in unserem Falle die Bundes- und Länderregierungen und die jeweiligen Parlamente – wäre also eigentlich in der Pflicht, diesen Rechtsanspruch durchzusetzen. Warum passiert deinem Eindruck nach da nichts und was müsste passieren, um die Situation konkret zu verbessern?
Zunächst möchte ich betonen, dass ich auch beim Einmischen in die Politik gelernt habe, geduldig zu sein. Der nordrhein-westfälische Beirat der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung ist eine sehr gute Institution, aber selbst mit meiner Anbindung dort, merke ich, wie lange es braucht, auch nur die kleinste Verbesserung von einer Idee zur Realität werden zu lassen. Auch da sitzen Menschen aus den Ministerien, die sich nicht vorstellen können, was eigentlich alles geht mittels moderner Hilfsmittel und allein meine Anwesenheit sorgt dafür, dass mehr Verständnis für die Materie entsteht.
"Ich erwarte nun von der Politik ganz klar die Durchsetzung dieses gesetzlichen Anspruchs mittels entsprechender Verordnungen und notfalls auch durch Sanktionen."
Die Beiräte der Länder sollten viel mehr kooperieren, um die Anliegen von Menschen mit Behinderungen besser an den Bund herantragen zu können. Die UN-Behindertenrechtskonvention, die gibt es nun immerhin schon sehr, sehr lange und man muss das Ganze nun endlich mal praktisch umsetzen. Lange genug haben die Hersteller Zeit gehabt sich freiwillig um so etwas zu bemühen. Ich erwarte nun von der Politik ganz klar die Durchsetzung dieses gesetzlichen Anspruchs mittels entsprechender Verordnungen und notfalls auch durch Sanktionen.
Bei uns in Niedersachsen sind am 9. Oktober Landtagswahlen. Hast Du die Hoffnung, dass die Thematik überhaupt eine Rolle spielen wird? Wie siehst Du die Aufgabe von Landesregierungen im Speziellen bei der Umsetzung von Barrierefreiheit?
Aufgrund der schwierigen politischen Situation im Moment, denke ich, dass man leider bei dem Thema ein bisschen weggucken wird. Ich sehe da, genau wie in Nordrhein-Westfalen, die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen in der Pflicht, das Thema in der Politik präsent zu machen und die Betroffenenverbände und Beiräte mit ins Boot zu holen. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Die Patientenvertretungen müssen ebenfalls diesen Anspruch mit geballter Kraft gegenüber der Politik formulieren, sonst wird das Thema untergehen. Zusammen kann man auch Berge versetzen.
"Zusammen kann man auch Berge versetzen."
Am Ende etwas Persönliches: Du giltst vielen auch als Mutmacherin für den Umgang mit einschneidenden Erkrankungen. Dein letzter Besuch in einer unserer Fortbildungen hinterließ ebenfalls einen bleibenden Eindruck unter den Teilnehmenden. Was rätst Du Menschen, die gerade dabei sind Ihr Augenlicht zu verlieren, oder auch kurz vor einem anderen Einschnitt, wie etwa einer Amputation, stehen, um sich nicht aufzugeben und weiterhin lebensmutig zu bleiben?
Am wichtigsten und hilfreichsten ist es, sich bei bereits Betroffenen Hilfe zu holen. Das hilft vielen schon sehr, zu sehen und zu erleben: Hey, mein Leben ist jetzt nicht vorbei, man kann sich arrangieren und auch mit stärkeren Einschränkungen noch gut leben. Als ich erblindete kam ich in ein Berufsförderungswerk für Blinde und Sehbehinderte und das erste was ich wahrnahm war herzliches Lachen. Das hat mich aufgefangen und meinen Zugang zu dem Einschnitt sehr geprägt. Ich habe gemerkt, dass das Leben natürlich weitergeht und auch wenn man den Frühling nicht mehr sehen kann, so kann man ihn noch riechen, hören, fühlen und schmecken. Sogar unglaublich intensiv, wenn man einen Sinn verloren hat und auf die anderen verstärkt angewiesen ist.
Ich musste mir aber auch klar machen, dass ich nicht ewig in einem geschützten Raum unter meinesgleichen sein werde, sondern wieder raus in die Welt muss, unter Sehenden in einer nicht unbedingt auf mich ausgerichteten Umwelt klarkommen muss. Dies muss man verinnerlichen und dann packt man es auch an. Es gibt immer Wege sich zu arrangieren. Aufgrund meines Engagements werde ich frisch erblindeten Menschen oft als Ansprechpartner durch Psychologen oder Ärzte empfohlen. Mit diesen entwickle ich als erstes immer Strategien, wie sie alte Gewohnheiten beibehalten und ihre Lebensqualität sichern können.
Da war z.B. ein Mann, der sich sorgte, nicht mehr mit seinem Hund im Wald spazieren gehen zu können. Ich brachte ihm die Möglichkeiten eines Smartphones und der Navigation mit Sprachausgabe näher. Heute geht er wieder mit seinem Hund raus und hat neuen Lebensmut geschöpft. Die Angst und Scheu vor modernen Hilfen zu nehmen ist dabei ganz wichtig. Die Digitalisierung und der Fortschritt sind auch für uns Blinde Geschenke, die wir für uns nutzen können. Es erfüllt mich sehr, da helfen zu können.
"Das Leben geht weiter und es kommt darauf an, es zu genießen."
Und ich denke, das lässt sich gut auch auf andere Erkrankungen und Behinderungen übertragen: Bereits Betroffene sollten sich im Rahmen von Selbsthilfe, Patientenvertretung oder anderweitig ehrenamtlich ansprechbar machen und beim Weg zurück in den Alltag helfen. Kürzlich Betroffene im Gegenzug diesen Kontakt suchen. Schon kleine Tipps eröffnen einem ganz neue Perspektiven. Das Leben geht weiter und es kommt darauf an, es zu genießen. Menschen mit Behinderungen müssen zusammenhalten - ob beim Kampf um angemessene Hilfsmittel oder der Alltagsbewältigung.
Wir bedanken uns sehr herzlich bei Diana für das ausführliche Gespräch. Wir freuen uns darauf, mit Dir weiterhin auf dem Feld der Barrierefreiheit und der Inklusion etwas zu bewegen.