Fortbildungswochenende in Wolfenbüttel

Heiko Müller: „In keinem Lebensmittel liegt ein besonderes Geheimnis“

Zweimal richtig viel Stoff, zweimal trotzdem Teilnehmer, die nicht genug bekommen konnten: Unsere Fortbildungen zum Diabetesmanagement mit „Basalratenpapst“ Heiko Müller in Wolfenbüttel boten ordentlich Mehrwert und zerstörten Mythen über bestimmte Lebensmittel.


„Unser Arzt wollte uns die Teilnahme an dieser Fortbildung verbieten“, so der recht erschreckende Einstieg in der Vorstellungsrunde zu unserer Fortbildung für Typ-F-Eltern und Jugendliche an einem Samstag Ende März durch eine der teilnehmenden Mütter. Ja, tatsächlich, der Arzt hätte das fünfzehnjährige Mädchen mit Diabetes Typ 1 aufgrund eines schlechten HbA1c lieber tagelang stationär unter alltagsfremden Bedingungen neu eingestellt, statt es zuzulassen, dass es über den Tellerrand des eigenen Behandlers schaut.

Mit Wegnahme von Pumpe gedroht

Vor der altehrwürdigen Kulisse der Wolfenbütteler Kommisse konnte Diabetesberater und „Basalratenpapst“ Heiko Müller da nur entgegnen, dass manchmal eben nur noch der Praxiswechsel Sinn mache. Er höre so etwas nicht zum ersten Mal. Auch dass der behandelnde Arzt mit der Wegnahme der Pumpe drohe, sei durchaus schon vorgekommen. Nicht in allen Kliniken werde Eltern zugehört und individuelle Lösungen gefunden, in manchen regiere eben noch der autoritäre Holzhammer.

Dabei sei es laut Müller gar nicht so schwer, den eigenen Diabetes besser zu managen. Seinen Erfahrungen und auch diversen Studien zufolge fallen Blutzuckerschwankungen nicht vom Himmel, sondern sind die „Quittung am Ende des Tages“ für grundsätzliche Fehlannahmen im Insulinmanagement. Eine der beliebtesten beginne bereits bei der Wirkdauer von Insulin. „Jedes Insulin, egal was Ärzte und Hersteller versprechen oder wünschen, kann mit einer Wirkdauer von 5 Stunden veranschlagt werden“, so der Diabetesberater im Brustton der Überzeugung.

Über Jahre hat der gebürtige Hesse akribisch Auswertungen von Verlaufskurven gesammelt und verglichen. In allen bestätige sich immer wieder eine Wirkdauer von 5 - 6 Stunden. Langzeitinsuline für eine Pen-Therapie natürlich ausgenommen. Aber, Pen-Nutzer waren auf der Fortbildung auch gar nicht dabei. Der Schwerpunkt lag auf Insulinpumpen, insbesondere auf Loop-Systemen.

Zerstörte Mythen

Manchen Eltern stand dann auch der Mund offen, als Müller den circadianen Verlauf einer Basalrate detailliert erläuterte. Dabei zerstörte er auch einen Mythos, denn dieser Verlauf ist nicht hochindividuell, sondern bei allen Menschen ziemlich gleich, wie seine jahrelangen Auswertungen belegten. Einen Unterschied mache nur das Alter, bzw. die körperliche Entwicklung. Das lasse sich dann auch auf die Wirkkurven von Bolusinsulin übertragen und sobald man erst einmal etwas genauer hinter diese Zusammenhänge gestiegen sei, vermeide man auch stete Unter- oder Überzuckerungen.
 
Müller nahm deshalb auch ganz genau die Mythen rund um Pizza und Nudeln auseinander, um aufzuzeigen, dass in keinem Lebensmittel ein besonderes Geheimnis läge. Die Probleme kämen eher von einer unpassend eingestellten Basalrate, der Nicht-Beachtung eines ausreichenden Spritz-Ess-Abstandes oder eben falsch berechneten Mahlzeiten-Boli. Für manche Eltern ein Augenöffner, ist in den Schulungen in Kliniken doch oft einfach keine Zeit für diese manchmal entscheidenden Details.

Resümee von Heiko Müller


Wir haben Heiko um ein kurzes Resümee der Fortbildung aus seiner Sicht gebeten.

"Ich finde es erstaunlich, dass doch recht viele fehlerhafte Informationen über die verschiedenen AID-Systeme unter den Eltern kursieren. Mir scheint, dies liegt an entweder an lücken- oder fehlerhaften Informationen bei der Einstellung oder an einem Mangel an Nachschulungen. Hier empfehlen sich meiner Meinung nach ambulante und alltagsorientierte Reha-Konzepte. Das ist allemal nachhaltiger als stationäre Rehabilitationsmaßnahmen, die zumeist auch erst dann ergriffen werden, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.

Am liebsten wäre ich als selbstständiger Diabetesberater überflüssig und würde den Bedarf nach meinen Beratungen über alltagstauglichere Konzepte in der Regelversorgung des Diabetes Typ 1 bereits gedeckt sehen. Zudem habe ich den Eindruck, dass es leider auch mit dem Ernährungswissen unter Menschen mit Diabetes Typ 1 nicht so weit her ist, wie man vermuten würde. Auch hier gibt es m.E. einen gewaltigen Nachbesserungsbedarf bei den Schulungen und in der Nachversorgung.

Insgesamt hat mir das gesamte Wochenende trotz der traurigen Erkenntnisse großen Spaß gemacht. Die großartige Organisation durch das Team der Diabetiker Niedersachsen war dabei die Kirsche auf der Sahnehaube."


Mehr über Heiko und seine Arbeit findet ihr auf www.mevita.de

Eines dieser Details spielte auch am nächsten Tag auf der Fortbildung für Erwachsene in unserem Bildungszentrum eine prominente Rolle. Das Verhältnis Basalinsulin und Bolusgabe passt häufig nicht richtig und dies führe dann eben zu einer scheinbaren Unberechenbarkeit des Diabetes. Exemplarisch wertete der passionierte Diabetesberater deshalb die Verläufe einiger Teilnehmer einfach einmal live aus und zeigte auf, dass mit einer gut eingestellten Basalrate und sich daraus ergebenden besseren Essensfaktoren schon viel gewonnen ist.

Der Sache auf den Grund gehen

Natürlich verhindert auch dieses bessere Verständnis des Diabetesmanagements nicht immer, dass mal etwas schiefläuft. Mahlzeiten werden überschätzt, Fett und Proteine können eine größere Rolle spielen als angenommen und noch vieles mehr.  „Natürlich komme auch ich mal in eine Unterzuckerung oder unterschätze eine Kohlenhydratmenge. Niemand sollte den Anspruch haben, dass immer alles rund läuft. Aber wenn sich bestimmte Probleme verstetigen, lohnt es sehr, der Sache einmal auf den Grund zu gehen. Das Wissen und die Tools dafür gibt es – also nutzt sie“, so Müller.

Alles in allem zwei sehr reichhaltige Fortbildungen, aus denen alle Teilnehmer zufrieden nach Hause gingen. Heiko Müller verstand es, den doch recht anspruchsvollen Stoff unterhaltsam aufzubereiten und man hatte am Ende der langen dicht gepackten Tage den Eindruck, dass alle Teilnehmer auch noch vier Stunden länger gekonnt hätten. Durchaus außergewöhnlich.