Bundestagswahl 2021

Nachgefragt: Den Parteien zur Wahl auf den Zahn gefühlt

Anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl haben wir wieder die Parteien im Bundestag nach ihren Positionen befragt. Angesichts der vielen Anfragen, die die Parteien in Wahlkampfzeiten erhalten, haben wir uns fairerweise auf drei Fragen beschränkt, die uns aus Patientenvertretungssicht unter den Nägeln brennen.

Die Ergebnisse sind leider ernüchternd. Nur fünf von sechs Parteien haben uns geantwortet, eine davon allerdings auch nur formal abbügelnd. Nachfolgend veröffentlichen wir alle Antworten in voller Länge und unkommentiert. Ein Urteil überlassen wir den geneigten Leserinnen und Lesern selbst.

Unsere Fragen

  1. In England funktioniert sie sehr erfolgreich und leistet einen wichtigen Beitrag zur Diabetes-Prävention: Die Zuckersteuer auf Süßgetränke. Ist mit Ihrer Partei mit einer vergleichbaren legislativen Regelung für die Bundesrepublik zu rechnen?
  2. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens muss dringend weiterentwickelt werden. Die Möglichkeiten der Telemedizin müssen voll beim Patienten ankommen und Versorgungslücken geschlossen werden. Auch die Anwendungskompetenz des medizinischen Personals und der Patienten muss gewährleistet werden. Welche Maßnahmen wollen Sie auf diesem Feld ergreifen, um die medizinische Versorgung in Deutschland zukunftsfest zu machen?
  3. Ein Stimmrecht für die themenbezogenen Vertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zur Stärkung der Patientenbeteiligung ist allen Diabetes-Selbsthilfeverbänden schon lange ein Anliegen. Werden Sie dies endlich ermöglichen?

Die CDU teilte knapp mit, dass sie Fragen von Landesorganisationen grundsätzlich nicht beantworte. Zunächst hatte sie allerdings automatisiert darum gebeten, ein ziemlich unkomfortables Online-Formular zu nutzen, welches nicht mal das Übermitteln der Fragen in voller Länge ermöglichte.

  1. Wir sehen heutzutage bei vielen unserer Lebensmittel: Die tatsächlichen Umwelt- und Folgekosten sind gerade bei ungesunden, überzuckerten und hochverarbeiteten Produkten oft nicht miteingepreist. Wir wollen daher eine Preisbildung, die jene Kosten stärker einbezieht und im Umkehrschluss eine gesunde, umwelt- und klimafreundliche Ernährungsweise finanziell attraktiver macht. So könnte zum Beispiel die Überschreitung eines Zucker-Grenzwertes von 5g pro 100ml bei Süßgetränken mit einer Zuckerabgabe für die Hersteller belegt werden, wie in Großbritannien. Hierfür bauen wir auf eine breite gesellschaftliche Diskussion und Aufklärung über die Maßnahmen, sowohl auf Anbieter- als auch auf Konsument*innenseite. Nur so können von einer breiten Basis akzeptierte, gesundheitlich sinnvolle Anreize entwickelt werden.
  2. Wir werden die Potenziale der Digitalisierung für die Verbesserungen von Diagnosen und für die flächendeckende gesundheitliche Versorgung entschlossen nutzen. Ebenso setzen wir auf Digitalisierung beim Abbau von Bürokratie, u.a. durch automatisierte Prozesse in der Dokumentation und Abrechnung. Auch durch eine bessere Vernetzung der medizinischen Einrichtungen untereinander und mit den Krankenkassen sollen Kommunikationsprozesse erleichtert werden. Durch die digitale Vernetzung der medizinischen Versorgungszentren, Spezialkliniken, Uni-Krankenhäuser und niedergelassenen Ärzt*innen werden neue Ärzte-Teams entstehen, die zum Wohl der Patient*innen zusammen beraten und gemeinsam behandeln, und so eine patient*innenzentrierte, ortsunabhängige Versorgung sicherstellen. Auch die Rechte der Patient*innen werden wir im Rahmen der Digitalisierung stärken. Den Patient*innen müssen perspektivisch feingranulare Dokumentmanagementsysteme zur Verfügung stehen. Sie sollen aktiv beeinflussen können, welche Daten wo gespeichert werden und wer Zugriff darauf hat. Hierbei spielt auch das Thema Cybersicherheit eine große Rolle für uns. amit all das erreicht werden kann, sind große Investitionen in die digitale Infrastruktur und den Ausbau der Telemedizin nötig. Nur mit entsprechender Förderung wird es gelingen, neuartige E-Health-Anwendungen mit hohem medizinischem Nutzen flächendeckend zu verbreiten. Eine Chance sehen wir zudem in KI und Robotik als Werkzeuge in der Diagnose und Behandlung. Für uns ist aber klar: Die Digitalisierung soll unser hervorragendes und engagiertes medizinisches Personal nicht ersetzen, sondern bestmöglich unterstützen. Hinter guter medizinischer Versorgung stehen immer Menschen. Damit alle die digitale Transformation bewältigen können, sind flächendeckende Weiterbildungs- und Unterstützungsangebote unerlässlich.
  3. In den letzten Jahren konnten wir durch unsere parlamentarische Arbeit die Versuche des Bundesgesundheitsministeriums, die Fachaufsicht über den Gemeinsamen Bundesausschuss zu erlangen und somit die Selbstverwaltung zu beenden, erfolgreich abwehren. Die Erhaltung der Selbstverwaltungsstrukturen im Gesundheitswesen sowie die Stärkung der Bürgerpartizipation an den Entscheidungsprozessen bilden die Basis der medizinischen Versorgung und ermöglichen eine bedarfsorientierte Planung. Wir wollen die Versorgungsstrukturen anpassen und die Mitbestimmungsrechte der Patient*innen stärken.

 

 

  1. Wir Freie Demokraten fordern grundsätzlich, dass die Prävention einen höheren Stellenwert bekommt, denn die Förderung präventiver Maßnahmen bietet große Chancen. Gute Prävention verbessert die Lebensqualität, vermeidet Krankheiten oder zögert ihr Eintreten zumindest heraus. Um möglichst große Erfolge zu erzielen, setzen wir auf Überzeugung statt auf Strafsteuern. Wir wollen Kindern und Jugendlichen bereits in Kindergärten, Schulen und in der Ausbildung einen gesunden Lebensstil vermitteln und damit die Verhütung von Krankheiten ermöglichen.
  2. Die Digitalisierung ist kein Wert an sich, sie hat das Potential den Arbeitsalltag von allen Gesundheitsakteuren zu erleichtern. Wir wollen die Digitalisierung im Gesundheitswesen durch klare und transparente Rahmenbedingungen voranbringen. Dazu benötigen wir offene Standards, Interoperabilität und Datensicherheit. Die Vernetzung zwischen allen Gesundheitsakteuren sowie Patientinnen und Patienten muss digital ausgestaltet sein. Nur so ist eine schnelle Verfügbarkeit der Patientinnen- und Patientendaten sicherzustellen. Gezielt fördern wollen wir digitale Infrastruktur und robotische Assistenzsysteme.
  3. Die vom Gesetzgeber festgelegte (§ 91 SGB V) Struktur des Gemeinsamen Bundesausschusses, sorgt aus unserer Sicht dafür, dass dieses Gremium weitestgehend neutral und sachbezogen arbeiten kann. Sie sollte nicht aufgeweicht werden.

 

  1. Gesunde und ökologisch wertvolle Lebensmittel sollen allen Menschen in Deutschland leicht zugänglich sein, gesunde Ernährung darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Ernährungsbedingte Krankheiten wollen wir GRÜNE gezielt eindämmen. Deshalb werden wir umsteuern und viele Stellschrauben neu justieren – sich gut und gesund zu ernähren, muss einfacher werden. Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Pflegeheime, Mensen und Kantinen unterstützen wir dabei, mehr gesundes regionales und ökologisch erzeugtes Essen anzubieten. Gutes Essen scheitert allzu oft an unzureichendem Angebot und mangelnder Transparenz. Um das zu ändern, nehmen wir die Lebensmittelindustrie in die Pflicht. Wir brauchen verbindliche Reduktionsstrategien gegen zu viel Zucker, Salz, Fett und Zusatzstoffe in Fertiglebensmitteln und ökonomische Anreize für gesündere Produkte. Den Nutri-Score wollen wir auf EU-Ebene verbindlich einführen. Bereits jetzt sollten die Anbieter ihn freiwillig nutzen, um Verbraucher*innen eine einfache Orientierung zu geben.
  2. Durch die Digitalisierung bieten sich in unserem Gesundheitswesen vielfältige Möglichkeiten und Anwendungsfelder: durch telemedizinische Leistungen können spezialärztliche Versorgungsangebote leichter auch in dünn besiedelten Regionen zugänglich werden, digitale Anwendungen können Therapien oder die Pflege unterstützen, durch Patient*innenakten können Versicherte ihre Gesundheitsdaten anderen Leistungserbringern oder der Forschung zugänglich machen und so die Versorgung verbessern. Für all das ist die Akzeptanz der Patient*innen die Basis. Die Akzeptanz wollen wir durch die Stärkung der digitalen Souveränität der Versicherten und verlässliche Datensicherheit fördern. Zudem ist eine Strategie für die Digitalisierung im Gesundheitswesen notwendig, um klare Meilensteine, Prioritäten und Verantwortlichkeiten zu bestimmen. Eine solche Strategie muss gemeinsam mit den Nutzer*innen entwickelt werden. So ist sichergestellt, dass die Digitalisierung sich insbesondere an den Interessen der Patien*tinnen und ihrer Versorgung orientieren.
  3. Für uns GRÜNE stehen die Bedürfnisse der Patient*innen und Pflegebedürftigen und der Nutzen für sie im Mittelpunkt. Sie sollen von Zuschauer*innen zu Beteiligten in unserem Gesundheitswesen werden. Dazu wollen wir die Möglichkeiten der Patient*innen- und Versichertenvertretung in den Gremien des Gesundheitswesens ausbauen, insbesondere auch durch ein eigenes unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss, größere Beteiligungs- und Informationsrechte und eine Reform der Sozialwahlen.
  1. Verbrauchsteuern wie eine Zuckersteuer belasten überproportional Menschen mit geringen Einkommen. DIE LINKE setzt deshalb grundlegender an und fordert eine verbindliche Reduktionsstrategie für Zuckeranteile in Fertiglebensmitteln. Wir wollen dabei spezielle Vorgaben für Kinderlebensmittel und ein Verbot für an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung und -marketing für zucker- und kalorienreiche Fertiglebensmittel, Fastfood, Süßwaren, salzige Snacks und Softdrinks.
  2. DIE LINKE lehnt den Einsatz digitaler Anwendungen zur bloßen Kostenreduzierung unter Inkaufnahme der Verschlechterung der medizinischen Versorgung ab. Der Schwerpunkt muss auf einer sinnvollen, die Pflegekräfte entlastenden Digitalisierung liegen. Staatliche Gelder sollen zuerst in die Bekämpfung des Pflegenotstands und die Verbesserung der Gesundheitsinfrastruktur fließen, statt sie für die Subventionierung von IT-Konzernen zu nutzen. Für eHealth-Anwendungen wollen wir evidenzbasierte Bewertungsverfahren analog zu anderen medizinischen Behandlungsmethoden. Onlinesprechstunden sind eine sinnvolle Ergänzung der Gesundheitsversorgung, gerade dort, wo die Abdeckung eh schon schlecht ist. Sie dürfen aber den persönlichen Kontakt zu Mediziner*innen und Pflegenden nicht vollständig ersetzen.
  3. Dieses Anliegen haben wir immer unterstützt. Auch den Patientenvertreter*innen im G-BA sollte volles Stimmrecht zustehen, sind sie doch am Ende diejenigen, die direkt von den dort gefällten Entscheidungen betroffen sind. Wir fordern deshalb, dass die Patientenvertretung im G-BA zwei der drei unparteiischen Mitglieder benennt und somit entscheidenden Einfluss erhält. Entsprechende Anträge wurden von der Fraktion DIE LINKE im Bundestag in den vergangenen Legislaturen ins Parlament eingebracht (vgl. z. B. BT-Drucksache 18/10630).