Diabetes-Event in Berlin

Meilensteine der modernen Diabetologie: Ein inhaltlich starker Auftakt mit Luft nach oben

Eine Menge wissenschaftlichen und lebenspraktischen Input bekamen unsere Aktiven beim Auftakt der „Meilensteine der modernen Diabetologie“ in Berlin. Der ein oder andere fühlte sich aber auch mit knurrendem Magen im Regen stehen gelassen. Ein Novembersonntag, der gemischte Gefühle hinterließ.


Zu den ureigensten Aufgaben der Aktiven in der organisierten Diabetes-Selbsthilfe und Patientenvertretung gehört es, stets am Puls der Zeit zu bleiben, wenn es Neuentwicklungen in der Therapie gibt. Das gilt ebenso umgekehrt mittels des Blicks in die Geschichte. Denn zu wissen, auf welchen Ansätzen heutige Therapieformen basieren, hilft dabei, die Probleme Betroffener besser einschätzen und beurteilen zu können. Ebenso erweitert es das Urteilsvermögen über den Sinn und Unsinn mancher als brandneu gepriesener Ansätze.

Eine gute Weiterbildungsmöglichkeit bot da der von diabetesDE ausgerichtete Auftakt zur Veranstaltungsreihe „Meilensteine der modernen Diabetologie“ im Herzen Berlins am vergangenen Wochenende. Diese nutzten Aktive aus mehreren unserer Selbsthilfegruppen ausgiebig und ließen sich von der Mischung aus wissenschaftlichen Vorträgen, Diskussionsrunden, Erfahrungsberichten und Industriemesse für einen Sonntag lang einnehmen.

Breites Angebot

Im Angebot wurde dabei inhaltlich ein Bogen vom Beginn der Insulintherapie in den zwanziger Jahren bis hin zu modernen AID-Systemen gespannt. Schwerpunkte dabei: Das noch gar nicht so alte Setzen der Medizin auf das Selbstmanagement von insulinpflichtigen Menschen mit Diabetes, welches mit der Möglichkeit, den Blutzucker selbst zu Hause zu messen, einst begann, und die rapide, aber wechselhafte Geschichte der modernen Hilfsmittel wie Insulinpen, Insulinpumpe und CGM-System.

Wissenschaftliche Vorträge

Besonders beindruckend war hierbei sicher der Vortrag vom Urgestein der deutschen Patientenschulung Dr. Viktor Jörgens zur Geschichte der Diabetestherapie, in der auch dunkle Flecken, wie das Verarmen der deutschen Diabetestherapie durch die antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes und der autoritäre Umgang mit der Erkrankung in der Nachkriegszeit bis tief in die neunziger Jahre hinein, beleuchtet worden. Manchem Zuhörer stand der Mund offen, als er erfuhr, dass es bereits in den 1920er Jahre Ansätze zum individuellen Management des Diabetes gab und schon 1963 eine funktionale „künstliche Beta-Zelle“ (in der Funktion einem AID-System ähnlich) existierte.

Ein langer Weg zu mehr Patientenfreundlichkeit

Auf der Hauptbühne hingegen spielte vorwiegend der Umgang mit dem Diabetes in allerlei Lebenslagen heute die Hauptrolle. Do-It-Yourself-Loopen, Extremsport mit Diabetes, Diabetes bei Kindern, Schwangerschaft, Sexualität und noch einiges mehr kamen in den Vorträgen von Stephi Haack, Fiorella Eickhoff, Karina Boß, Lisa Schütte und vielen anderen zur Sprache. Im Abgleich mit der Therapiegeschichte wurde schnell deutlich: Der Weg zu patientenfreundlichen und inklusiven Therapieformen war lang, aber lohnte sich zu gehen. Auch die erfahreneren Mitglieder aus unseren Reihen nahmen hier noch Neues mit, merkten aber auch an, dass das Thema „Diabetes im Alter“ informativer hätte aufbereitet sein müssen.

Mitzunehmen gab es auch etwas auf der übersichtlichen Industrieausstellung in der Säulenhalle der Telekom Hauptstadtrepräsentanz. Ein Glücksrad, Broschüren und auch eine „Ballon Challenge“ wurden von den Ausstellern aus der Industrie, Medizin und Patientenvertretung feilgeboten. Es fiel allerdings auf, dass die Ausstellung nicht alles abdeckte und der ein oder andere Hilfsmittelhersteller fehlte und bei weitem nicht alle Organisationen vertreten waren.

Besucherzahlen mau

Die inhaltlich stark aufgestellte Veranstaltung beeindruckte leider nicht mit hohen Besucherzahlen. Im recht großzügigen Gebäude wirkte die professionell dekorierte und technisch ausgestattete Veranstaltung oft etwas verwaist. Hier müssen die Ausrichter noch an den Bewerbungsstrategien feilen, um die wertvolle Information an mehr Betroffene bringen zu können. Die nicht vorhandene Verpflegung mit Nahrungsmitteln und Getränken vor Ort im Gebäude war zudem ein oft von Besuchern gehörter Kritikpunkt. Hier ist ordentlich Luft nach oben, denn auch gesunde Ernährung ist ein großes Thema in der Diabetes-Community.

Im Regen stehen gelassen?

Etwas misslich war sicher auch das Vorgehen, den Festakt als geschlossene Gesellschaft direkt im Atrium des Gebäudes abzuhalten, während draußen von weither angereiste Selbsthilfe-Aktive im Regen verweilen mussten, weil man die Pforten so erst nach dem Ende des Festakts für den „Normalbesucher“ öffnen konnte. Ein Abhalten des geschlossenen Teils in einem der zusätzlichen und ungenutzten hinteren Räume, während vorne die Besucher bereits zur Garderobe und sich aufwärmen können, wäre sicher die bessere Lösung gewesen. Denn wer startet schon gern in eine Veranstaltung, wenn er sich bei ihrem Beginn unerwünscht und im Regen stehen gelassen fühlt?