Standard-Medikament bei Diabetes Typ 2 nicht unumstritten

Kardiologe: Metformin für die Mehrheit nicht geeignet

Metformin ist seit vielen Jahren DAS erste Medikament, dass Menschen mit Diabetes Typ 2 verordnet bekommen. Ein Kardiologe aus Aachen hinterfragt den Nutzen dieses Wirkstoffs und sagt: Nur eine bestimmte Gruppe von Typ-2-Diabetikern profitiert von Metformin.


Seit vielen Jahren ist Metformin ein bewährtes Medikament zur Behandlung von Typ-2-Diabetes. Sehr oft ist es das erste Medikament, das der Arzt nach der Diagnose verordnet. Der Wirkstoff lässt sich gut mit anderen Diabetes-Medikamenten kombinieren, führt weder zu Unterzucker noch zu Gewichtszunahme und ist kostengünstig. Die Substanz senkt den Blutzuckerspiegel über mehrere Wege. Die Leber produziert weniger Glukose, der Darm nimmt weniger davon aus der Nahrung auf und die Zellen sprechen besser auf Insulin an.

Die offiziellen deutschen Leitlinien empfehlen Metformin als sogenanntes Erstlinientherapeutikum bei Diabetes Typ 2. Bei Personen, die zudem an Herzkreislauf-Erkrankungen leiden, wird es oft mit einem SGLT2-Hemmer oder einem GLP-1-Rezeptoragonisten kombiniert. Doch nimmt Metformin diese bedeutende Rolle immer noch zu Recht ein? Fachleute diskutieren diese Frage kontrovers. Auf einem großen Fachkongress in Wiesbaden gab es kürzlich eine Pro- und Contra-Diskussion.

Wie funktioniert Metformin?

Metformin gehört zur Gruppe der sog. Biguanide. Es reduziert es die Glukoseproduktion in der Leber und verbessert die Glukoseaufnahme im Darm und in Muskelzellen. Dies senkt den Blutzuckerspiegel und erhöht die Insulinempfindlichkeit. Metformin kann auch das Körpergewicht stabilisieren oder reduzieren und das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen mindern. Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden können auftreten.

Kellerer: Auch Metformin könnte das kardiovaskuläre Risiko senken

Die Diabetologin Prof. Dr. Monika Kellerer aus Stuttgart beispielsweise betonte die Vorteile von Metformin zu denen unter anderem die jahrzehntelange Erfahrung, die gute Senkung des Langzeitzuckerwerts HbA1c und die gute Kombinierbarkeit mit anderen Medikamenten zählte. Zudem sei es laut Kellerer nicht auszuschließen, dass Metformin zudem eine schützendene Wirkung auf Herzkreislauf-Erkrankungen habe. Dies sei bislang nur ansatzweise untersucht.

Prof. Dr. Nikolaus Marx, Kardiologe aus Aachen dagegen sagt: Nur eine bestimmte Gruppe von Typ-2-Diabetikern profitiert von Metformin als erster Therapie. An der von Kellerer erwähnten Studie hätten nur sehr wenige Patienten teilgenommen. Marx verwies auf eine andere Studie, die zeige, dass Metformin – im Vergleich zu anderen blutzuckersenkenden Medikamenten - keinerlei höheren Einfluss habe auf das Auftreten von Herzinfarkten, Schlaganfall oder Nierenversagen.

Wie funktionieren SGLT2-Hemmer?

SGLT2-Hemmer blockieren ein Protein in den Nieren, das überschüssigen Zucker aus dem Blut aufnimmt. Dadurch wird der Zucker stattdessen über den Urin ausgeschieden, was den Blutzuckerspiegel senkt und die Kontrolle des Diabetes verbessert. Beispiele für SGLT2-Hemmer sind Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin. Diese Medikamente werden oft in Kombination mit anderen Diabetes-Medikamenten verschrieben und können das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Diabetikern verringern. Als Nebenwirkungen können u.a. Harnwegsinfekte und Dehydratation verursachen werden.

Marx: Metformin für die Mehrheit nicht als erstes Medikament geeignet

In seiner Argumentation stützte sich Marx auf die Ergebnisse großer kardiovaskulärer Studien der letzten zehn Jahre (Studie 1, Studie 2). Diese hätten den Nutzen von SGLT2-Hemmern (Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin) und GLP-1-Rezeptoragonisten wie etwa Trulicity oder Ozempic bewiesen. Hier zeigte sich, dass es keinen Unterschied machte, ob Metformin eingenommen wurde oder nicht. Im Gegenteil, eine Studie zeigte sogar vermehrt Nierenprobleme bei denjenigen, die zusätzlich Metformin eingenommen hatten.

Im Gegensatz zu den deutschen Leitlinien würden die US-amerikanischen und europäischen Leitlinien nicht generell Metformin als erste Therapie empfehlen, so Marx. Vor allem bei Diabetikern mit Herzinsuffizienz, Nierenerkrankungen oder Arteriosklerose seien die beiden neueren Medikamentengruppen vorzuziehen. Metformin komme erst dann zum Einsatz, wenn sich der Langzeitzuckerwert mit dem ersten Medikament nicht ausreichend senken lasse.

Wie funktionieren GLP-1-Rezeptoragonisten?

GLP-1-Rezeptoragonisten aktivieren den GLP-1-Rezeptor, der die Insulinproduktion fördert und die Glukagonproduktion reduziert, was den Blutzuckerspiegel senkt. Sie verlangsamen auch die Magenentleerung, was das Sättigungsgefühl verlängert und die Nahrungsaufnahme reduzieren kann. Beispiele sind Exenatid, Liraglutid und Semaglutid. Diese Injektionen können allein oder mit anderen Medikamenten verwendet werden. Obwohl sie effektiv sind, können sie Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall verursachen.

Seinen Stellenwert als erste Therapie behält Metformin laut Marx vor allem bei Personen mit Diabetes Typ 2 ohne Arteriosklerose oder Herz- und Niereninsuffizienz und einem geringen Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. „Metformin sollte definitiv nicht die First-Line-Therapie für die Mehrheit der Patienten mit Typ-2-Diabetes sein“, so der Kardiologe.

Meyerhöfer: Keinen Grund, Patienten Metformin vorzuenthalten

PD Dr. Svenja Meyhöfer aus Lübeck hingegen meint: „Metformin hat immer noch einen festen Platz“. Die Diabetologin sieht keinen Grund, Patienten Metformin vorzuenthalten. Sie verordnet es von Anfang an, je nach gesundheitlichem Status des Patienten kombiniert mit einem weiteren Medikament. „SGLT2-Hemmer und GLP1-RA haben mehr Nebenwirkungen als Metformin, deshalb ist eine individuelle Therapieentscheidung beim Typ-2-Diabetes wichtig.“