Diabetes Typ 2 und Übergewicht sind in vielen Ländern der Welt zu Volkskrankheiten geworden. Trotz intensiver Forschung sind die genauen Mechanismen, die dazu beitragen, noch nicht restlos bekannt.
Genetische Prädisposition liegt zwischen 30 und 50 Prozent
Die Ernährung spielt eine große Rolle. Mangelnde Bewegung und Stress mit Sicherheit auch. Teilweise sind auch unsere Gene für unser Gewicht verantwortlich. Das Risiko für Übergewicht kann genauso vererbt werden wie das für Diabetes. Bei Typ-2-Diabetes wird die genetische Prädisposition auf etwa 30 bis 50 Prozent geschätzt. Da sich die Gene aber nur extrem langsam verändern, wird der Anstieg in den letzten hundert Jahren üblicherweise mit ungesunder Ernährung und Bewegungsmangel begründet.
Epigenetik versus Genetik?
Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Gene. Der Begriff Epigenetik ist zusammengesetzt aus den Begriffen Genetik und Epigenese, also der Entwicklung eines Lebewesens. Im Unterschied zur Genetik, die sich mit der der Existenz der Erbsubstanz DNA selbst beschäftigt, gibt die Epigenetik Informationen über den Aktivitätszustand von Genen. Die Epigenetik gilt damit sozusagen als Bindeglied zwischen den Genen und den Einflüssen aus der Umwelt. Sie bestimmt mit, unter welchen Umständen welches Gen angeschaltet und wann es wieder stumm wird. Eltern geben ihre eigenen epigenetischen Muster nicht nur an Kinder, sondern auch Enkelkinder weiter. Die Aktivierung bestimmter Gene wird über mehrere Generationen vererbt.
Die Humangenetikerin Dr. rer. nat. Henriette Kirchner aus Lübeck sieht das differenzierter. „In den letzten 50 bis 100 Jahren befinden wir uns in einem epigenetischen Teufelskreis, der die beiden Epidemien immer weiter befeuert“, erklärte sie auf dem Diabetes Kongress 2021 der Deutschen Diabetes Gesellschaft, der im Mai online abgehalten wurde.
Epigenetik als Bindeglied zwischen Genen und Umwelt
Kirchner geht davon aus, dass die Zunahme an Diabetikern auch teilweise an der epigenetischen Vererbung liegt. Im Gegensatz zur Genetik kann die Evolution mit Epigenetik sich deutlich schneller an veränderte Umweltbedingungen anpassen (siehe Kasten). Epigenetische Mechanismen stellen sozusagen das Bindeglied zwischen Genen und Umwelt dar. Je nach Umwelteinfluss wird die Aktivität von bestimmten Genen aktiviert oder abgeschaltet.
Hungersnöte und Proteinmangel nach dem Krieg verändert die Epigenetik
„Durch Hungersnöte, etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, und speziell einer Proteinmangelernährung ist die Epigenetik der damaligen Generation verändert worden. Deren Nachkommen hatten in der Folge ein erhöhtes Risiko für Übergewicht, Typ-2-Diabetes und auch koronarer Herzkrankheit. Das war die zweite Generation, die es schlecht getroffen hatte, die aber keiner Hungersnot mehr ausgesetzt war“, so Kirchner weiter. „Diese Generation hatte viel zu Essen und bewegte sich zu wenig, wodurch sich ihre Epigenetik noch einmal zum Schlechten veränderte, was wiederum an die nächste Generation weitergegeben wurde.“
Von einem gesunden Lebensstil profitieren auch die Kinder und Enkelkinder
Epigenetische Informationen werden über beide Elternteile weitergegeben. Das Gute daran ist, dass man im Laufe des Lebens selbst seine Epigenetik positiv beeinflussen kann, in dem man sich gesund ernährt und viel bewegt. Der eigene Lebensstil hat laut Kirchner also nicht nur Einfluss auf das eigene Leben, sondern auch auf die Nachfolgegeneration. Kinder können ein unvorteilhaftes epigenetisches Profil von ihren Eltern erben, können durch einen eigenen gesunden Lebensstil allerdings gegensteuern und ihre Risikoerhöhung zum Teil wieder rückgängig machen.