Diabetiker Niedersachsen beziehen Stellung

Nutri-Score muss verpflichtend sein

Nach langem Ringen von Verbraucherschutzverbänden und Politik hat die letztere sich nun endlich dazu entschieden, ein einheitliches Kennzeichnungssystem für den Nährwertgehalt von Lebensmitteln einzuführen. Ab 2020 können Lebensmittelhersteller auf ihrer Verpackung den sogenannten „Nutri-Score“ anbringen, der in fünf Stufen die ernährungsphysiologische Qualität eines Lebensmittels bewertet.

Grundlage hierfür ist ein System, erarbeitet von französischen und britischen Wissenschaftlern, bei dem die Inhaltsstoffe von 100 Gramm des Produktes nach einem Algorithmus bewertet werden. Dass es gerade dieses System ist, welches künftig die Verbraucher informieren soll, entschied das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unter Ministerin Julia Klöckner (CDU) anhand einer Umfrage.

Schlupflöcher vorhanden

Während es viel Beifall aus verschiedenen Verbraucherschutzverbänden gibt, zeigt sich unser Landesvorsitzender Arnfred Stoppok skeptisch. Das Risiko, dass die Lebensmittelhersteller über kleine Änderungen an den Zutaten den Nutri-Score-Algorithmus überlisten und sich so eine bessere Wertung verschaffen, bewertet er als hoch. Die Berechnung des Nährwertgehalts werde zwar stets verbessert, dennoch gebe es noch Schlupflöcher. Zucker gegen Süßstoffe, die immer wieder im Verdacht stünden Heißhungerattacken auszulösen und Krebs zu erregen, auszutauschen liege für die Industrie nun beispielsweise nahe. Auch das Ersetzen von hoch verarbeiteten Fruchtsirupen durch naturbelassenes Obst würde an der Qualität mancher Produkte nicht viel ändern, aber deren Score verbessern.

„Ein Anteil von Obst, Gemüse oder Nüssen in einem Nahrungsmittel verbessert automatisch dessen Score, ohne zu berücksichtigen, wie genau der Anteil aufgebaut ist. Ungünstig hingegen wirkt immer ein hoher Energiegehalt, der jedoch nicht per se schlecht sein muss, gerade nach dem Sport oder auch bei einer drohenden Unterzuckerung. Ich befürchte, dass das System nicht immer dazu führen wird, dass die Verbraucher genau das kaufen, was ernährungswissenschaftlich jetzt genau das Beste für sie wäre. Das gilt vor allem für Diabetiker, die weiterhin darauf angewiesen sind, unleserliche Nährwerttabellen auf den Rückseiten der Verpackungen zu entziffern“, so Stoppok.

Diabetiker müssen weiterhin genau hingucken

Eine französische Studie an der Sorbonne belege zwar, dass der Nutri-Score das Einkaufsverhalten der Verbraucher generell positiv in Richtung kalorienärmere Lebensmittel beeinflusse, speziell bei Diabetikern ergäben sich aber Stolperfallen. Stoppok erläutert: „Menschen mit Diabetes sollten weiterhin genau prüfen, welchen Anteil an Kohlenhydraten ein Lebensmittel enthält, um zu überprüfen, wie sinnvoll es für ihre Ernährung ist. Der Nutri-Score sagt dazu im Zweifelsfall nichts Genaues aus, kann aber psychologisch zum Kauf eher ungeeigneter Produkte verleiten, die z.B. durch einen hohen Anteil an Obst eben auch einen hohen Anteil an Fruchtzucker enthalten.“

Besserer Nutri-Score heißt nicht bessere Qualität

Trotz dieser Schwächen begrüßten aber auch die Diabetiker Niedersachsen die Einführung der Kennzeichnung. Ganz und gar nicht begrüße man jedoch die reine Freiwilligkeit der Verwendung. „Es zeichnet sich ab, dass diejenigen, die jetzt schon laut damit werben, künftig den Nutri-Score anbringen zu wollen, ihre Produkte in der Zusammensetzung so verändern werden, dass eine bessere Bewertung dabei herausspringt, ohne dass sich an der generellen Qualität der Nahrungsmittel etwas ändert. Produkte, die zwar auf den ersten Blick ungünstig zusammengesetzt sind, aber unter gewissen Umständen trotzdem einen positiven Effekt auf die Ernährung haben, werden hingegen vom Markt gedrängt. Diejenigen, die qua ihrer Produktionskapazitäten und Möglichkeiten zur Umstellung im Nachtteil sind, werden das Nachsehen haben“, erläutert Stoppok.

Dies treffe natürlich vor allem kleinere und ökologische Hersteller. Überhaupt sei es ebenso wichtig, dass für den Verbraucher die Umstände der Produktion und die Lieferkette ersichtlich seien. Nach Nutri-Score gesunde Produkte könnten beispielsweise weiterhin trotzdem eine schlechte CO2-Bilanz aufweisen, oder für Mikroplastik in den Weltmeeren sorgen, was langfristig der Gesundheit der Verbraucher wieder abträglich sei. Hier seien noch lange nicht alle Möglichkeiten der Politik ausgeschöpft.

Kennzeichnung muss Pflicht werden

Stoppoks Fazit: „Gerade aus unserem Einsatz für eine umfassende Diabetesprävention heraus setzen wir uns seit Jahren für leicht verständliche Nährwertkennzeichnungen von Lebensmitteln ein. Solche auf freiwilliger Basis anzubieten reicht einfach nicht aus. Im Gegenteil: Es befördert Monopolisierungstendenzen in der Lebensmittelindustrie, die am Ende wieder zu Lasten des Verbrauchers gehen. Wir fordern die gesetzliche Pflicht zur Kennzeichnung und eine stete kritische Überprüfung, ob das Nutri-Score-System wirklich immer genau wiedergibt, wie wertvoll ein Lebensmittel ist.“