Fachärzte schlagen Alarm

Krankenkasse stellt Zusatznutzen von CGM in Frage

Die Barmer Krankenkasse stellt den Zusatznutzen kontinuierlicher Glukosemessgeräte (CGM) in Frage und fordert in ihrem aktuellen Hilfsmittelreport künftig einen Nutzencheck für solche Apparaturen, um die Kosten einzudämmen.

„Zum medizinischen Zusatznutzen von CGM-Geräten gibt es in Studien bislang nur vereinzelte Hinweise“ so ein Auszug aus dem aktuellen Barmer Hilfsmittelreport. Grundlage für die Versorgung mit CGM-Geräten sei ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses aus dem Jahr 2016. Dieser sei seinerzeit mit Studien begründet worden, die bei Diabetes mellitus Typ 1 auf einen höheren Schutz vor gefährlichen Unterzuckerungen hindeuteten. Nun müsse überprüft werden, ob sich die Erwartungen bestätigten, so die Begründung. „In der Gesetzlichen Krankenversicherung drohen Extrakosten in Milliardenhöhe bei Medizinprodukten ohne erwiesenen Zusatznutzen. Deshalb sollten wichtige Medizinprodukte einer frühen Nutzenbewertung ähnlich wie Arzneimittel unterzogen werden“, so der erste Satz des Reports.

Befürchtung von Rückschritten in der Versorgung von Diabetikern

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) warnen davor, aus finanziellen Gründen und mithilfe vorschneller und wissenschaftlich nicht haltbarer Beurteilungen der CGM das Wohl von Diabetikern zu gefährden und eine Kultur des Misstrauens in neue technische Hilfsmittel zu befördern.

Seit 2016 werden die Kosten von CGM-Systemen von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, wenn die Therapieziele nicht anders erreichbar sind. Mithilfe dieser Systeme gelingt es Menschen mit Diabetes und Ärzten den Glukoseverlauf jederzeit nachzuvollziehen und so sowohl Unter- als auch Überzuckerungen zu vermeiden. Die Mehrheit von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes verwendet diese Geräte.

„Zurück ins vergangene Jahrhundert?“

 „Auf diese Vorteile zu verzichten hieße, ins vergangene Jahrhundert zurückzufallen“, kommentiert DDG Präsident Prof. Dr. med. Andreas Neu den aktuellen Hilfsmittelreport der Barmer. Ein Rückzug aus der Erstattungsfähigkeit solcher Systeme würge die Entwicklung hin zu modernen, sicheren und zukunftsfähigen Technologien ab, die Diabetikern den Alltag erleichtere und zu mehr Lebensqualität führe.

Ein wesentlicher Vorteil der CGM ist der Hypoglykämie-Alarm. „Fallen oder übersteigen die Glukosewerte einen kritischen Punkt, löst dies einen Alarm aus“, so die DDG. Diabetiker würden dann frühzeitig gewarnt und können therapeutisch gegenlenken. „Gerade bei Betroffenen mit stark schwankenden Glukosewerten kann diese Funktion sogar lebensrettend sein.“ In ihrer aktuellen Stellungnahme „Auswahl der Glukosemessmethode“ weist die DDG auf die hohe Evidenz des Zusatznutzens bei einem Diabetes Typ 1 und bei Insulinpumpentherapie hin und belegt dies mit diversen Studien.

Experten fürchten, dass mit der Infragestellung des Zusatznutzens von CGM künftig weniger Menschen von der neuen Technik profitieren könnten. „Unsere Untersuchungen und Erfahrungen mit Betroffenen zeigen, dass CGM neben der verbesserten Glukosekontrolle auch das Risiko für Folgeerkrankungen und akute Komplikationen vermindern", betont DGE-Präsident Prof. Dr. med. Günter Stalla. Aus diesem Grunde hätten diese Systeme Einzug in die Leitlinien zur Behandlung des Diabetes Typ 1 und Typ 2 gehalten - insbesondere für diejenigen, die ihren Stoffwechsel durch die herkömmliche Standard-Therapie nicht in den Griff bekommen.“

„Barmer Report wirft falsches Licht auf die Versorgungsrealität“

Der Barmer-Hilfsmittelreport werfe zudem ein falsches Licht auf die Versorgungsrealität und die tatsächlichen Kassen-Ausgaben, ergänzt ein Sprecher der DDG: „Die Kosten für ein CGM werden nur im Einzelfall übernommen. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung prüft die Notwendigkeit und stimmt zu oder lehnt ab - also eine bislang durchaus strenge Auswahl“, betont Gallwitz. Außerdem sei der Kostenvergleich der Barmer zwischen Blutzuckermessstreifen und CGM zulasten Letzterem fragwürdig: „Die Kosten für ein CGM-System liegen nicht viel höher, als wenn man sechs bis acht Mal am Tag den Blutzucker mithilfe herkömmlicher Blutzuckermessstreifen misst - was für eine gute Stoffwechselkontrolle absolut notwendig ist“.

Auch die Beobachtung, dass Nutzer von CGMs häufiger Arzt- und Krankenhausaufenthalte aufweisen, hält er für irreführend. Viele dieser Anwender hätten aufgrund der schwierigeren Stoffwechsellage auch häufiger Begleit- oder Nebenerkrankungen, die solche Besuche rechtfertigen. Da sei das CGM zweitrangig.

„Neben den harten Zahlen müssen wir bei der Nutzenbewertung auch die menschlichen Aspekte berücksichtigten, die besonders wichtig sind“, gibt Prof. Dr. med. Martin Merkel von der DGE zu bedenken. „Die Belastungssituation von Angehörigen und Betroffenen sinkt deutlich, wenn sich der Stoffwechsel besser kontrollieren lässt – unter Umständen auch aus größerer Distanz über eine Handy-App.“ Zudem erhöhen technische Annehmlichkeiten die Therapietreue und die gesellschaftliche Inklusion, wodurch Betroffene einen positiveren Zugang zu ihrer Erkrankung bekommen.

Kritisches Echo in der Fachpresse

Inzwischen hat auch der renommierte Medical Tribune sich der Thematik in einem ausführlichen Artikel angenommen und listet eine Reihe an Argumenten gegen eine negative Neubewertung von CGM-Geräten auf. Insbesondere wird am Report der Barmer kritisiert, dass auf Aspekte wie Lebensqualität und die Erfahrungen der Behandelnden nicht eingegangen werde.