Eltern von Kindern, bei denen bereits in sehr jungem Lebensalter ein Typ 1-Diabetes festgestellt wird, sind anfangs oft geschockt, von den Anforderungen der notwendigen Behandlung mit Insulininjektionen oder einer Insulinpumpentherapie überfordert und durch Ängste um die Zukunft ihres Kindes belastet. Aber auch für Erwachsene, die plötzlich eher zufällig erfahren, dass ihre erhöhten Blutzuckerwerte auf einen Typ 2-Diabetes hinweisen, wissen heute, dass „etwas Alterszucker“ nicht auf die leichte Schulter genommen werden darf. Ihnen ist oft aus Erfahrung in ihren Familien bekannt, dass ein Typ 2-Diabetes engagiert behandelt werden muss, damit Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden lange erhalten bleiben.

Schritt für Schritt Verantwortung übernehmen

Diabetes ist eine Stoffwechselstörung, bei der die Verantwortung für die Behandlung im Alttag fast ausschließlich bei den Betroffenen liegt. Vergleicht man die Zeit, in der Menschen mit Diabetes jährlich für sich selbst sorgen (ca. 8.700 Stunden im Jahr) mit der Zahl der Stunden, die in der ärztlichen Praxis verbracht werden (kaum mehr als 10-20 Stunden im Jahr), dann wird deutlich Menschen mit Diabetes müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ärzte, Ärztinnen und Diabetesberaterinnen stehen ihnen mit Rat und Tat zur Seite, sie können jedoch die Verantwortung dafür übernehmen, wie der Diabetes im Alltag behandelt wird.

Schritt 1: Wissen erweitern

In Deutschland haben alle Menschen mit Diabetes das Recht, an einer Schulung genau zu ihrem Diabetestyp teilzunehmen, in der sie sich auf das Leben mit Diabetes gut vorbereiten können. Und dieses Recht sollte jede/r für sich in Anspruch nehmen! Schulung steht hier nicht für „Abfragen“ oder „Noten“, Diabetesschulung bedeutet persönliche Beratung auf dem Weg zur eigenen qualifizierten Behandlung. Und darauf kann sich jeder vorbereiten:

  • Notieren Sie sich bereits zu Hause die Fragen, die Ihnen wichtig sind, damit Sie nicht vergessen werden.
  • Trauen Sie sich in der Schulung Fragen zu stellen, keine Frage ist zu dumm.
  • Lassen Sie sich genau zeigen, wie Selbstkontrollen oder Injektionen durchgeführt werden, und üben Sie selbst mithilfe der Berater.
  • Stellen Sie die Dinge zusammen, die Ihnen wichtig sind, z. B. bestimmte Nahrungsmittel, Gewohnheiten oder Hobbys, und klären Sie, wie diese mit dem vereinbar sind.
  • Notieren Sie sich Dinge, die Sie sehr sorgen, z. B. Folgeerkrankungen des Diabetes, und lassen Sie sich erklären, wie Ihre Chancen heute mit der modernen Behandlung sind, sie zu vermeiden. Viele Ängste erweisen sich danach als überzogen.

Schritt 2: Erreichbare Ziele setzen

Vielleicht haben Sie bei der Diagnose Ihres Typ 2-Diabetes schon das 50. Lebensjahr überschritten. Sie kämpfen seit Jahren gegen Ihr Übergewicht, dabei soll, schnell mal 20 Kilo Gewicht in kurzer Zeit abzunehmen. Solche Berichte sind leider „Märchen für Erwachsene“ und haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Schon seit den 1950er-Jahren weiß man, dass radikale Hungerkuren auf Dauer nur zu einer Gewichtzunahme führen. Erfolgreich und dauerhaft kann das Körpergewicht nur durch regelmäßige Bewegung und Umstellung der Ernährungsgewohnheiten verringert werden. Die gute Nachricht ist dabei, dass oft bereits einige Kilogramm weniger aussreichen, um den Zuckerstoffwechsel deutlich zu verbessern.

Tipps

  • Suchen Sie eine Bewegungsform, die Ihnen Freunde macht, planen Sie diese täglich fest ein und führen Sie sie auch ebenso fest durch.
  • Beziehen Sie Ihren Partner oder Freunde ein, gemeinsam macht es meist mehr Spaß und es hilft, den „inneren Schweinehund“ zu überwinden.
  • Überprüfen Sie Ihre Ernährungsgewohnheiten, vor allem die Dinge, die Sie schnell zwischendurch verzehren, auf einiges können Sie sicher verzichten, ohne dass es Sie beeinträchtigt.
  • „Verboten ist verboten“: Strenge Verbote haben fast automatisch zur Folge, dass man ständig daran denkt und genau diese Nahrungsmittel einen Heißhunger entwickelt. Deshalb sollten Sie sich nichts verbieten, sondern nach und nach die Mengen verringern.
  • Innerhalb weniger Tage können Ihre Blutzuckerwerte bei Typ 2-Diabetes nicht normalisiert werden; geben Sie sich zwei oder drei Monate Zeit, um Ihren Erfolg zu überprüfen.
  • Setzen Sie sich erreichbare Ziele, z. B. vier Kilogramm in drei Monaten.
  • Erwarten Sie nicht, „perfekt“ zu sein; Rückschläge gehören zum menschlichen Leben, sie sind kein Grund, um an sich zu zweifeln oder aufzugeben.
  • Schließen Sie sich einer Gruppe von Menschen mit ähnlichen Zielen an, z. B. gibt es Sportgruppen für Menschen mit Diabetes.
  • Nehmen Sie Kontakt zu einem Bezirksverband oder einer Selbsthilfegruppe der Diabetiker Niedersachsen auf. Der Austausch mit ebenfalls Betroffenen ist sehr hilfreich.

Schritt 3: Selbstbewusstsein stärken und Schuldgefühle abbauen

Mit dem Typ 2-Diabetes wird leider oft verbunden, dass Betroffene selbst „Schuld“ an der Stoffwechselstörung seien. Dabei wird vergessen, dass genetische (erbliche) Besonderheiten mitbestimmen, ob ein Mensch Typ 2-Diabetes bekommen kann oder nicht. Ebenso unterscheiden sich Menschen darin, wie sie ihre Nahrung verwerten und wie die körperliche Bewegung wirkt. Jeder Mensch ist hier ein Individuum, also anders und besonders. Diejenigen, die einen Typ 2-Diabetes bekommen haben, verhalten sich daher nicht schlechter oder besser als andere Menschen. Um aber auf Dauer gesund zu bleiben, müssen sie sich im Alltag an ihre besondere Konstitution anpassen. Am ehesten gelingt dies, wenn

  • Sie zu Ihrer Besonderheit ohne schlechtes Gewissen stehen und selbst entscheiden, etwas für sich zu tun: Sie „müssen“ nicht „wegen des Diabetes“, sondern Sie wollen es für sich tun.
  • Sie ehrlich mit sich und Ihren Stoffwechselwerten umgehen, d. h. Ihrem Arzt offen und gerade über Schwierigkeiten berichten, statt sich selbst oder anderen etwas vorzumachen.
  • Sie selbstbewusst die Dinge einfordern, die Sie wegen Ihres Diabetes brauchen, z. B. Zeit für Bewegung.
  • Sie die wichtigsten Behandlungsschritte so zur Routine werden lassen, dass Sie selbstverständlicher Teil Ihres Alltags sind.
  • Sie stolz auf erste Erfolge sind und die Anerkennung anderer annehmen.
  • Sie sich aber auch erlauben, Fehler zu machen, ohne gleich an sich zu verzweifeln.
  • Sie sich auf die schönen Seiten des neuen Lebensstils konzentrieren und bewusst genießen.

Schritt 4 Die eigene Gesundheit verantwortlich erhalten

Der Diabetes bleibt lebenslang, er kann jedoch sehr gut behandelt werden. Damit sind die Chancen heute noch, gesund und leistungsfähig ein hohes Alter zu erreichen und das Leben zu genießen. Eine positive, anpackende Haltung zu den notwendigen Behandlungsschritten beugt depressiver Stimmung und Passivität vor. Umgekehrt verbessert regelmäßige Bewegung an frischer Luft die Stimmung, der Schlaf wird besser und die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit steigt. Selbst wenn längst jeder übergewichtige Mensch mit Typ 2-Diabetes aktive Lebensstil zu mehr Gesundheit und Lebensqualität bei. Jeder Mensch mit Typ 2-Diabetes sollte aber auch wissen, dass sich die Stoffwechsellage auf Dauer verändert und die Behandlung ohne oder mit Tabletten daran angepasst werden muss. Deshalb ist eine vertrauensvolle enge Zusammenarbeit mit der Ärztin oder dem Arzt unverzichtbar. Besonders dann, wenn sich abzeichnet, dass die Behandlung mit Tabletten nicht mehr ausreicht, um normale Blutzuckerwerte zu erreichen, sollten Sie sich nicht scheuen, eine Behandlung mit Insulin zu beginnen. Werten Sie dies als Misserfolg, sondern als sinnvollen Schritt, um Ihre Gesundheit weiter bestmöglich zu erhalten.

Der Typ 2-Diabetes entwickelt sich bei jedem Menschen unterschiedlich, manche benötigen nach wenigen Jahren Insulin, andere können über viele Jahre ohne Medikamente auskommen. Verantwortung übernehmen heißt hier, die Insulintherapie nicht hinauszuzögern, sondern dass bereits viele Kindergartenkinder mit Typ 1-Diabetes diese Behandlungsform mithilfe ihrer Eltern beherrschen und viele Jahrzehnte damit gut leben werden. Bereits heute gibt es in Deutschland Menschen, die sich seit mehr als 50 Jahren Insulin spritzen. Einige davon können Sie im Diabetiker Niedersachsen e.V.kennenlernen und von ihren Erfahrungen profitieren.

Prof. Dr. Karin Lange, Dipl.-Psych. Fachpsychologin Diabetes DDG, Medizinische Hochschule Hannover
Redaktionell aktualisiert von André Owczarek für den Landesvorstand