Erfahrungsaustausch

Weshalb Selbsthilfe unersetzbar bleibt

Auch wenn es immer mehr Online-Angebote zur Information über chronische Erkrankungen gibt, bleibt die klassische Selbsthilfe ein wichtiger Baustein des Gesundheitssystems. Das zeigen die Diabetiker Niedersachsen sehr deutlich.

Wer braucht heutzutage eigentlich noch Selbsthilfe? In der durchdigitalisierten Welt mit ihren Chats, Foren und „sozialen Netzwerken“ wird immer mal wieder die Frage gestellt, warum denn eigentlich die klassische – also die „analoge“ – Form des Austauschs überhaupt noch notwendig sei. Die Antwort ist so einfach wie naheliegend: Das ist sie in jedem Fall – und zwar genau deshalb!

Denn die klassische Selbsthilfe bietet etwas, das kein Online-Angebot liefern kann: Den persönlichen Kontakt. Und der ist gerade, wenn es um eine chronische Erkrankung wie Diabetes geht, durch nichts zu ersetzen. Wer kann schon immer genau sagen, in wessen Interesse vermeintlich unabhängige Beiträge im Netz geschrieben werden? Wer weiß, ob die Quelle eines gut wirkenden Rats tatsächlich vertrauenswürdig ist? Dazu kommt: Das Netz ist mindestens so geduldig wie das bedruckte Papier. Soll heißen: Was irgendjemand mal irgendwo veröffentlicht hat, mag zu diesem Zeitpunkt eventuell gestimmt haben – ob dem aber noch so ist, wenn die Information ungeprüft zu einem späteren Zeitpunkt abgerufen wird, ist selten wirklich sicher.

Selbsthilfe fernab vom Stuhlkreis-Klischee

"Der große Nutzen ist der persönliche Austausch", sagte denn auch Jutta Hundertmark-Mayser, stellvertretende Geschäftsführerin von Nakos, der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen, kürzlich der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Natürlich könne man sich heutzutage im Internet informieren und austauschen, „aber dort kann einen keiner in den Arm nehmen“.

Derzeit gibt es mindestens 70.000 Selbsthilfegruppen in Deutschland. Und die sind mindestens so vielfältig wie die Themen, die darin behandelt werden. Eines haben sie allerdings gemein: In aller Regel haben sie wenig mit dem Stuhlkreis-Klischee zu tun, das sich wohl aus den Anfängen der Selbsthilfe mit Gruppen wie den Anonymen Alkoholikern aus den USA gehalten hat. Heutzutage funktioniert Selbsthilfe weitaus vielschichtiger. Natürlich gibt es auch weiterhin die traditionellen Treffen. Schaut man sich aber nur das Angebot der Diabetiker Niedersachsen an, so wird deutlich, wie breit das Angebot mittlerweile ist. Da gibt es etwa Wandertouren oder themenbezogene Ausflüge, bei denen die Teilnehmer sich in ganz anderer Atmosphäre austauschen. Dazu kommen die Typ-F-Wochenenden, bei denen sich Kinder austoben, während die Eltern in Ruhe über ihre Erfahrungen sprechen können.

Freiwilligkeit, Engagement und Ehrenamt

Das Positive: Die Betroffenen treffen auf Menschen, die die gleichen oder mindestens ähnliche Erfahrungen gemacht haben – dennoch bleibt man in gewisser Weise „unter sich“. Hier muss niemand einem anderen etwas erklären, keiner ist in irgendeiner Weise Rechenschaft schuldig. Und alles beruht auf Freiwilligkeit, Engagement und Ehrenamt. Niemand – und schon gar kein medizinisches Fachpersonal – gibt irgendetwas vor, stattdessen organisiert man sich selbst. „Selbsthilfe ersetzt nicht den Arzt oder Psychologen“, so Hundertmark-Mayser, „sie kann aber eine sehr sinnvolle Ergänzung sein.“ Das gilt natürlich ganz besonders in Zeiten, da es teils Monate dauert, einen Termin beim Facharzt zu bekommen – und natürlich gerade auch in ländlichen Gebieten, in denen die medizinische Versorgung ohnehin zum Problem wird.

So ist die „Ergänzung“ der Selbsthilfe im Laufe der Jahr(zehnt)e zu einem wichtigen Baustein des Gesundheitswesens geworden. Oder wie es Bernhard Mletzko, ein Mitglied im Bezirksverband Hannover der Diabetiker Niedersachsen bei seiner Ehrung für 25 Jahre Mitgliedschaft zuletzt äußerte: "Diese Begegnungen kann man durch keinen Chat und keine E-Mail ersetzen."