100 Jahre Insulin?

Georg Zülzer: Ein Insulinpionier ohne Würdigung

Das Jubiläum „100 Jahre Insulin“ wurde in diesem und im letzten Jahr (je nachdem welches Ereignis man als Ausgangspunkt nimmt) allerorts in der ein oder anderen Form begangen. Auch wir berichteten in Januar dazu. Wer sich jedoch genauer mit der Geschichte des lebensrettenden Bauchspeicheldrüsen-Extraktes beschäftigt, muss zwei Jahrzehnte vorher ansetzen und kommt um den deutschen Arzt Georg Zülzer und seine Verdienste nicht herum.

Der Chefarzt Georg Zülzer behandelte bereits 1909 erfolgreich die ersten Patienten mit Insulin, welches er aus der Bauchspeicheldrüse von Rindern gewann. Er schickte seine Entdeckung seinem Kollegen Oskar Minkowski nach Breslau zur Überprüfung. Dieser überließ den Extrakt jedoch seinem Assistenten, der in einem Versuch mit Hunden zu vernichtenden Ergebnissen kam. Ob die Hunde vielleicht nur unterzuckert waren prüfte dieser nicht nach und so versagte man Zülzer eine Bestätigung der Wirksamkeit.
 
Der Biochemiker Kersten Hall von der Universität Leeds hat dazu ein Buch veröffentlicht (bisher nur in Englisch unter dem Titel „Insulin – The Crooked Timber: A History From Thick Brown Mood To Wallstreet Gold“, Oxford University Press). In seiner kontroversen Schrift stellt Hall ausführlich da, wie verschiedene Forscher jahrelang darum rangen, den Titel „Erfinder des Insulins“ einzuheimsen. Zülzer und seine Arbeit waren die ersten Opfer in diesem Prozess.

Zu wenig Zeit für Forschung

Als deutscher Jude konnte Zülzer im Kaiserreich keine Professur erlangen und verdingte sich als Chefarzt im Berliner Klinikum Hasenheide. Beim Kümmern um die Klinik blieb ihm wenig Zeit für seine aufwändige Forschung nach einem Mittel gegen die Symptome eines Diabetes. Trotz der niederschmetternden Antwort aus Breslau ließ er nicht locker und arbeitete weiter an seiner Entdeckung.

Entwicklung fallen gelassen

So kam es 1911 zu einer Kooperation mit Hoffmann La Roche. Im Zuge dieser Kooperation gelang es im August 1914 im Versuch mit Hunden und Menschen den Blutzuckerspiegel mittels des Extrakts, dem Zülzer den Namen „Acomatol“ („antikomatisch“) gab, nachweislich den Blutzuckerspiegel der Probanden zu senken. Die Schweizer Firma cancelte das Projekt jedoch, da man sich nicht vorstellen konnte, dass echte Patienten sich über Jahre hinweg täglich etwas gegen ihren Diabetes spritzen würden.

Mit dem Spätsommer 1914 kam auch der erste Weltkrieg und Zülzer musste als Stabsarzt an die Front, wo er mehrfach schwer erkrankte und infolgedessen seine Forschung auch nach dem Ende des Krieges weitgehend ruhte. 1922 kostete ihn die publikumswirksame Berichterstattung über die erfolgreiche Therapie des 13 Jahre alten Leonard Thompson durch kanadische Kollegen endgültig seinen Platz in der Entwicklungsgeschichte des Insulins.

Gestorben ohne Anerkennung

1934 musste Zülzer in die USA emigrieren. Verlor er unter der Schreckensherrschaft der Nazis doch seinen Titel und wäre als Jude später wahrscheinlich in der Vernichtungsmaschinerie des Regimes geendet. In New York arbeitete er in einer Privatklinik und verstarb im Alter von 79 Jahren, ohne für seine Arbeit je Anerkennung zu erfahren.

Wären seine Erkenntnisse früher berücksichtigt worden, Frederick Banting hätte bei seinen Versuchen der Extraktion von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Hunden nicht regelrechte Massaker anrichten müssen. Zülzer hatte in mehreren Fachartikeln bereits beschrieben, wie sich Insulin unkompliziert extrahieren lässt.  

Ein tragischer Held

Georg Zülzer bleibt der tragische Held in der Geschichte der Entwicklung des Insulins und kann anlässlich des offiziellen Insulin-Jubiläums gar nicht genug rückwirkend gewürdigt werden. Immerhin sein Grabstein trägt die Inschrift: „Der erste Arzt, der mit einem Extrakt aus der Bauchspeicheldrüse Menschen mit Diabetes aus dem terminalen Koma holte.“