Digitalisierung macht vieles komplexer

Forderung nach barrierefreien Technologien für Menschen mit Diabetes

Gesundheits-Apps, Online-Schulungen und vieles mehr – digitale Technologien verbessern die medizinische Versorgung und die Lebensqualität von Menschen mit Diabetes. Doch nicht jeder kann die neuen Methoden nutzen.


Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) fordert barrierefreie Technologien für alle – unabhängig von körperlichen oder psychischen Einschränkungen. „Gerade vulnerablen Patientengruppen – wie ältere, blinde, von Demenz betroffene oder anderweitig beeinträchtigte Menschen – bleiben viele der digitalen Unterstützungsangebote verwehrt“ sagte Dr. med. Dorothea Reichert, Tagungspräsidentin der Diabetes-Herbsttagung.

Probleme gebe es beispielsweise bei der intensivierten Insulintherapie, bei der durch die Gabe eines Langzeitinsulins oder die kontinuierliche Insulinabgabe über eine Pumpe die Versorgung mit Basisinsulin sichergestellt wird. Darüber hinaus muss vor jeder Mahlzeit die geplante Kohlenhydrataufnahme berechnet und eine entsprechende Insulinmenge gespritzt oder abgegeben werden.

Nicht jedem gelingt die Berechnung der korrekten Insulinmenge

„Menschen mit Typ-1-Diabetes, die diese Berechnung nicht bewältigen, geraten schnell in eine lebensbedrohliche Unter- oder Überzuckerung“, so Reichert. Die Diabetologin fordert, dass Hersteller digitaler Gesundheitsanwendungen verpflichtet werden, Barrierefreiheit zu gewährleisten, etwa durch Sprachausgabe an Handys.

Vielen Menschen würden besonders von digitalen Anwendungen profitieren, die die Dosierung berechnen, erst recht von Closed-Loop-Systemen (Auch "AID-Systeme") – Insulinpumpensysteme, die auch automatisch auf Blutzuckerschwankungen reagieren. In der Praxis hätten aber gerade Patienten mit Unterstützungsbedarf oft keine Chance auf Kostenübernahme für solche Systeme – mit der Begründung, dass sie den Zeitpunkt und die Zusammensetzung ihrer Mahlzeiten nicht selbst festlegten. „Dabei wird verkannt, dass auch in Betreuungseinrichtungen und Pflegeheimen nicht sichergestellt ist, dass es Betreuungskräfte gibt, die die Berechnung des Mahlzeiteninsulins übernehmen“, gab Reichert zu bedenken.

Technologien erfordern hohes Maß an digitalem Grundverständnis

Zudem gibt es bislang weder barrierefreie Glukosesensoren noch barrierefreie Insulinpumpen. Die neuen Technologien erfordern ein erhebliches Maß an digitalem Grundverständnis, und Personen mit starker Sehbehinderung sind von vornherein ausgeschlossen. „Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen können die vom Medizinischen Dienst geforderten Dokumentationen zur Ernährung, Zuckerwerten, Insulinmenge und Sport häufig nicht in der geforderten Qualität vorlegen und bekommen deshalb keine automatisierten Insulindosierungssysteme bewilligt – obwohl sie von diesen in besonderem Maße profitieren würden“, so Reichert.