Schwarz-roter Koalitionsvertrag

Durchbruch für eine nationale Diabetesstrategie oder nur heiße Luft?

Mit viel Euphorie ist der Entwurf für einen Koalitionsvertrag von SPD, CDU und CSU in der Diabetes-Community aufgenommen worden. Besonders die Ankündigung, die sogenannten „Disease-Management-Programme“ (DMP) der Krankenkassen ausbauen zu wollen, stieß auf breite Zustimmung bei in der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) organisierten Ärzten. Zudem wird begrüßt, dass es nun endlich eine „nationale Diabetesstrategie“ geben soll, auch wenn diese im Detail gar nicht weiter spezifiziert wird. Grund genug für uns, mal etwas genauer hinzuschauen.

Ein Kommentar von Arnfred Stoppok

Was ist sind die DMP?
Die Disease-Management-Programme nach RSAV (Risikostrukturausgleich-Verordnung) wurden mittels eines neuen Gesetzes im Dezember 2001 bundesweit eingeführt. Im Kern geht es darum, dass Ärzte mehr Mittel für die Behandlung chronisch Kranker von den Krankenkassen zugeschrieben bekommen, die an einem solchen Programm teilnehmen und dass der sektorenübergreifende Behandlungsablauf verbessert wird. Auch Diabetes Typ 1 und Typ 2 waren von Anfang an Indikationen für eine Teilnahme. Verschiedene Studien legen nahe, dass sich die Behandlungsqualität für die Teilnehmenden seit Einführung der Programme verbessert habe. Kritiker hingegen betonen, dass alle Evaluationen in dem Bereich nicht aussagekräftig genug wären und eine genaue Beurteilung einer Verbesserung gar nicht möglich sei.

Wo liegen die Probleme?
Bei Teilnahme wird eine nicht unerhebliche Menge persönlicher Daten der Patienten aufgenommen und an die Krankenkassen weitergegeben. Zwar unterstehen diese einem besonders strengen Datenschutz, aber bei einer elektronischen Speicherung ist natürlich niemals eine hundertprozentige Datensicherheit gegeben. Die medizinischen Leitlinien zu den Therapiemethoden und auch zur Beurteilung des Gesundheitszustandes der Probanden waren in der Vergangenheit nicht unumstritten. Noch immer fühlen sich einzelne Ärzte in ihrer Behandlungsfreiheit eingeschränkt.
Die Koppelung an den Risikostrukturausgleich hat oft dazu geführt, dass Ärzte versuchten, möglichst viele Patienten in ein DMP einzuschreiben, um keine finanziellen Einbußen zu erleiden. Darunter litt zuweilen die Versorgung von Hochrisikopatienten. Inzwischen werden zwar nur noch die Durchschnittsausgaben erstattet, dies wiederum reicht aber nicht immer für die Kostendeckung der Programme.

Die Verwaltung der DMP ist für die Krankenkassen ein hochbürokratischer Akt, der mit hohen Verwaltungskosten verbunden ist. Durch die föderale Struktur der Ärztevertretungen sind die Inhalte der Verträge mit den Kassen in jedem Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) unterschiedlich. Dies bedeutet für die teilnehmenden Chroniker teilweise erhebliche Schwankungen in der Qualität der Behandlung und der Übernahme von Maßnahmen.
Es ist den Krankenkassen anderseits nicht möglich, individuelle Programme mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung anzubieten. Damit wird es schwerer die Wirksamkeit und Effizienz verschiedener Konzepte zu erproben.

Zusammengefasst: Die DMP sind grundsätzlich ein Fortschritt in der Behandlung chronisch kranker Patienten. Aber, sie sind sowohl für Ärzte als auch Kassen ein erhebliches Mehr an Bürokratie und schränken die individuell zugeschnittene Behandlung der Teilnehmer ein.

Was kündigt die große Koalition an?
Da die Probleme offensichtlich sind, wäre es natürlich schön, wenn die Volksparteien genau an diesen Stellen versuchen würden, gesetzgeberisch Verbesserungen herbeizuführen. Was genau sagt aber der Koalitionsvertrag?

„Wir wollen gezielt Volkskrankheiten wie Krebs, Demenz oder psychische Störungen bekämpfen. Dabei betonen wir die nationale Diabetesstrategie. Wir werden die Disease-Management-Programme weiter stärken, insbesondere durch eine Umsetzung der Programme für Rückenschmerz und Depressionen.“

Die DMP sollen also schwerpunktmäßig zunächst nur um weitere Indikationen erweitert werden. Die benannten und bekannten Probleme – insbesondere die nicht einheitlichen Standards und der Bürokratieaufwand – werden mit keiner Silbe erwähnt. Es wird eine „nationale Diabetesstrategie“ betont, die noch gar nicht vorliegt. Man muss schon interpretieren, was damit gemeint sein könnte. Im Folgenden werden dann verschiedene gesundheitspolitische Ankündigungen gemacht. Föderale Strukturen sollen weiterhin erhalten bleiben, woraus man auch Rückschlüsse auf die Probleme, die diese Strukturen bei den DMP verursachen, ziehen könnte. Aber natürlich nicht muss. Der Vertrag bleibt hier betont schwammig. Immer wieder liest man von Kommissionen, die zunächst ergründen sollen, was hier oder dort geschehen müsse.

Im Bereich DMP findet sich also nichts, was Jubelstürme rechtfertigt. Wir werden weiter selbst auf die Defizite in der Praxis hinweisen und für Verbesserungen kämpfen müssen. Sei es über die BAG Selbsthilfe, unsere Publikationen oder im Dialog mit Politik, Medizin und Krankenkassen.

Prävention durch starke Patienten
Unter der Überschrift „Prävention“ wird ein „Nationales Gesundheitsportal“ angekündigt, welches die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken soll. Ebenso soll ein „Eckpunktepapier zur Weiterentwicklung des Präventionsgesetztes“ vorgelegt und vom Bundestag verabschiedet sollen. Auch wenn gerade Letzteres eine ziemliche Wabbelaussage ist, so begrüßen wir als Selbsthilfevertretung diese Maßnahmen ausdrücklich. In Zeiten des Internets wird es für Betroffene immer schwieriger, die Seriosität von Informationen einzuschätzen. Ein Gesundheitsportal unter öffentlicher Aufsicht ist hier sicher von Vorteil. Die Zeit der Eckpunkte und Kommissionen sollte nach vielen Jahren gemeinsamen Regierens aber endlich vorbei sein. Die Probleme sind hundertfach ergründet und es käme auf die Umsetzung von Lösungen, also eine direkte Änderung des Präventionsgesetzes z.B. durch die Erhöhung der vorgegebenen Investitionen von Krankenkassen, an.

Erfolg für ortsansässige Apotheken
Wirklich erfreulich ist das angekündigte Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Damit wird die gute Beratung in den Apotheken vor Ort geschützt und die Entpersonalisierung der Medikamentenversorgung vorerst verhindert. Der Vertrag ist hier ungewohnt deutlich:

„Um die Apotheken vor Ort zu stärken, setzen wir uns für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein.“

Wir hoffen auf eine baldige Umsetzung, haben wir dieses Anliegen doch schon mit einer landesweiten Resolution bekräftigt und dafür von Apothekern viel Zuspruch bekommen.

Eine nationale Diabetesstrategie?
Bei der Ignoranz gegenüber bestimmten Problemen ist für uns eine solche nicht wirklich erkennbar geworden. Am ehesten findet man hierzu noch etwas im Bereich „Gesunde Ernährung“. Dieses Feld ist eng mit dem Bereich Diabetes Typ 2 verknüpft. Dort heißt es zunächst:

„Für die Nationale Reduktionsstrategie für Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten werden wir 2018 gemeinsam mit den Beteiligten ein Konzept erarbeiten, und dies mit wissenschaftlich fundierten, verbindlichen Zielmarken und einem konkreten Zeitplan versehen.“

Dieses hehre Anliegen wird leider im nächsten Satz wieder entkräftet, denn die Rücksicht auf die Belange der Industrie will man sich – gut verklausuliert – leider nicht nehmen lassen.

„Gemeinsam mit dem Lebensmittelhandwerk werden wir die Möglichkeiten einer praktikablen Umsetzung in diesem Bereich gewährleisten.“

„Praktikable Umsetzung“ heißt in solchen Fällen immer Rücksicht auf Profite und Kompromisse, die wertvolle Zeit durch unnötige Übergangsmaßnahmen klauen. Man denke hier an die vielen Bremsklötze im Bereich erneuerbare Energien oder benzinfreier Verkehr.

Wer schon immer mal wissen wollte, wie man Alles und Nichts gleichzeitig sagt, dem wird dann im nächsten Absatz geholfen:

„Transparenz und Information für Verbraucherinnen und Verbraucher soll durch eine verständliche und vergleichbare Lebensmittelkennzeichnung gewährleistet werden, um eine ausgewogene Ernährung zu erleichtern. Wir werden das Nährwertkennzeichnungssystem für verarbeitete und verpackte Lebensmittel weiterentwickeln, indem das Verhältnis zur Referenzzahl gegebenenfalls vereinfacht visualisiert wird. Wir lehnen uns dabei an bereits bestehende Systeme an.“

Man merkt, hier ist sehr genau um den heißen Brei herumformuliert worden, um am Ende alles offen zu lassen. Die Lebensmittelampel ist in einigen Ländern inzwischen gut erprobt und das wohl einfachste System für Verbraucher, um die Nährwertqualität eines Lebensmittels zu beurteilen. Gerade in der Typ 2-Prävention wäre diese Art der Kennzeichnung von unschätzbarem Wert, der psychologische Effekt roter Ampeln ist gegeben und führt zu einem überlegterem Konsum. Hier wurde klar eine Chance vertan, Fakten zu schaffen. Stattdessen wurde ein fast schon peinlicher Formelkompromiss gefunden. Aufgrund dieses Abschnittes gehen wir nicht davon aus, dass die Lebensmittelampel kommt. Auf die angestrebten neuen Konzepte zur Kennzeichnung sind wir aber gespannt und werden diese kritisch begleiten.

Fazit
Der Koalitionsvertrag ist im Bereich Gesundheit sicher nicht nur „heiße Luft“, aber konkrete Aussagen sehen unserer Meinung nach anders aus.
Von einer „nationalen Diabetesstrategie“ kann schon gar nicht die Rede sein. Sowohl im Feld der DMP als auch der Ernährungsprävention haben wir kaum etwas gefunden, was die Versorgung oder Prävention der verschiedenen Diabetesformen entscheidend voranbringt. Auch wir freuen uns über die kleinen angekündigten Verbesserungen. Aber die Begeisterung in anderen Teilen der Community will uns nicht so recht anstecken.

Für uns bleibt im Mittelpunkt: Diabetikerinnen und Diabetiker brauchen eine starke Vertretung in der Politik, um ihren Interessen Geltung zu verschaffen. Kommissionen und schwammige Konzepte allein werden es nicht richten.

 

Weiterführende Links und Quellen

Entwurf eines Koalitionsvertrages zwischen SPD, CDU und CSU (PDF)

Pressemitteilung der DDG vom 08.02.2018

Informationen des Gemeinsamen Bundesauschusses zu den DMP

Informationen zum Risikostrukturausgleich auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums

Zusammenfassung der Kritikpunkte am DMP auf Wikipedia

DMP und Datenschutz

Informationen zur Lebensmittelampel